Eulen
Schwester der Mutter, die aus Kalifornien anrief und einen gemütlichen Plausch halten wollte. Roy nutzte die Gelegenheit, einen Schuhkarton aus seinem Zimmer zu holen und sich leise zur Gartentür hinauszustehlen.
Wieder ging es zum Golfplatz, aber dieses Mal mit einer kleinen Umleitung. Anstatt an der West Oriole links abzubiegen, in Richtung Bushaltestelle, lenkte Roy sein Fahrrad in die East Oriole. Nach weniger als zwei Häuserblocks kam er an ein überwuchertes Grundstück, auf dem ein verbeulter Bauwagen abgestellt war.
Neben dem Bauwagen parkte ein blauer Kleinlaster mit offener Ladefläche. Nicht weit von diesem Pick-up standen drei Fahrzeuge, die so ähnlich wie Bulldozer aussahen, und mehrere Dixi-Klos. Das musste das Grundstück sein, nahm Roy an, wo jemand die Fenster des Streifenwagens zugesprüht und Alligatoren in die Toiletten gesteckt hatte.
Kaum hatte Roy angehalten, da flog auch schon die Tür des Bauwagens auf und ein bulliger, kahlköpfiger Mann schoss heraus. Er trug steife, gelbbraune Arbeitshosen und ein passendes T-Shirt mit einem Namensschild. Roy konnte es nicht lesen, er war zu weit weg.
»Was willst du hier?«, blaffte der Mann ihn an. Sein Gesicht lief rot an vor Ärger. »He, du, ich rede mit dir, Junge!«
Hat der ’n Problem?, dachte Roy.
Der Mann kam auf ihn zu und zeigte auf Roys Schuhschachtel. »Was hast du da?«, brüllte er. »Was habt ihr jetzt wieder geplant, du und deine feinen Freunde, he?«
Roy drehte sein Rad um und trat in die Pedale. Der Typ war anscheinend total gestört, so wie der sich aufführte.
»So ist’s richtig, und lass dich bloß nicht noch mal hier sehen!«, brüllte der Glatzkopf hinter ihm her und wedelte mit der Faust. »Beim nächsten Mal erwarten dich hier Wachhunde. Die schärfsten Köter, die du je gesehen hast!«
Roy trat noch schneller in die Pedale. Er drehte sich auch nicht mehr um. Die Wolken wurden immer dunkler, und er meinte, er hätte einen Regentropfen gespürt. In der Ferne grollte schon der Donner.
Auch hinter dem Highway, auf dem Weg zur West Oriole Avenue, drosselte Roy sein Tempo nicht. Als er am Golfplatz ankam, tröpfelte es schon gleichmäßig. Roy sprang vom Rad und joggte über den verlassenen Rasen. Seinen Schuhkarton hielt er unter einen Arm geklemmt.
Bald war er bei dem Dickicht aus Pfeffersträuchern, wo er den Jungen getroffen hatte, der angeblich Fischfinger hieß. Roy hatte sich innerlich darauf eingestellt, wieder die Augen verbunden zu bekommen und gefesselt zu werden – sogar eine kleine Rede hatte er sich für diesen Anlass zurechtgelegt. Er war fest entschlossen, Fischfinger davon zu überzeugen, dass der jemanden brauchte, dem er vertrauen könnte, und dass er nicht hier sei, um sich einzumischen, sondern um ihm zu helfen, falls das nötig wäre.
Während er sich durch das Dickicht mühte, hob er einen abgebrochenen Ast vom Boden auf. Er war schwer genug, um eine Wassermokassin zu beeindrucken. Roy hoffte allerdings, er würde ihn nicht brauchen.
Im Graben war von den tödlichen Schlangen mit den glitzernden Schwänzen nichts zu sehen. Das Lager des Jungen war weg – der Platz war geräumt. Die Plastiktüten waren nicht mehr da, die Feuerstelle verdeckt. Roy grub mit der Spitze des Astes in der losen Erde, aber er fand nicht den kleinsten Hinweis. Missmutig suchte er den Boden nach Fußspuren ab, sah aber nichts.
Fischfinger war geflüchtet und hatte keine Spuren zurückgelassen.
Als Roy wieder auf dem Golfrasen stand, gab es einen Wolkenbruch. Mittlerweile goss es in Strömen, die harten Tropfen brannten auf seinem Gesicht und die Blitze waren gefährlich nah. Roy schauderte und rannte los. Ein Golfplatz war sicherlich der schlechteste Ort bei einem Gewitter, zumindest wenn man neben Bäumen stand.
Während er so rannte und bei jedem Donnerschlag zusammenzuckte, hatte er ein schlechtes Gewissen, dass er sich einfach von zu Hause weggeschlichen hatte, ohne Bescheid zu sagen. Wenn seine Mutter merkte, dass er im Gewitter draußen war, würde sie sich furchtbare Sorgen machen. Vielleicht fuhr sie sogar mit dem Auto los, um ihn zu suchen. Der Gedanke beunruhigte ihn. Er wollte nicht, dass sie bei diesem Wetter unterwegs war; so wie es jetzt regnete, war kaum mehr die Straße zu erkennen.
Klatschnass war er und ziemlich fertig, aber er zwang sich trotzdem, schneller zu laufen. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er durch den strömenden Regen und sagte sich immer nur: Es kann nicht mehr weit sein.
Er
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