Eulen
schnell etwas einfallen lassen musste.
»Die Wunden am Arm sind nicht neu«, erklärte ihnen Dr. Gonzalez. »Bei einer Infektion in diesem Stadium würde ich mal schätzen, dass er vor achtzehn bis vierundzwanzig Stunden gebissen wurde.«
Beatrice wurde deutlich nervös. Roy wartete nicht ab, bis sie sich wieder gefangen hatte.
»Ja, das kommt hin. Etwa achtzehn Stunden«, sagte er zu der Ärztin.
»Was soll das heißen?«
»Schauen Sie, nachdem er gebissen wurde, ist er ohnmächtig geworden«, sagte Roy. »Und erst am nächsten Tag ist er aufgewacht und nach Hause gerannt. Dann hat Beatrice mich angerufen und gefragt, ob ich ihr helfen kann, ihn ins Krankenhaus zu bringen.«
Dr. Gonzalez sah Roy durchdringend und ziemlich streng an, aber ihre Stimme klang so, als wäre sie leicht amüsiert.
»Wie heißt du, mein Junge?«
Roy schluckte heftig. Jetzt hatte sie ihn kalt erwischt.
»Tex«, sagte er leise.
Beatrice stieß ihn an, so als wollte sie sagen: Was Besseres fällt dir nicht ein?
Die Ärztin verschränkte die Arme. »Also, Tex, jetzt noch mal von vorn: Dein Freund Roy wird also auf dem Fußballfeld von mehreren großen Hunden angefallen. Keiner versucht ihm zu helfen, und er bleibt die ganze Nacht und den größten Teil des nächsten Tages ohnmächtig da liegen. Dann wacht er auf einmal auf und joggt nach Hause. War es so?«
»Hm-m.« Roy schaute zu Boden. Er war ein miserabler Lügner, das wusste er.
Nun wandte Dr. Gonzalez ihre eiserne Aufmerksamkeit Beatrice zu.
»Wieso musstest du deinen Bruder herbringen? Wo sind denn deine Eltern?«
»Bei der Arbeit«, antwortete Beatrice.
»Und du hast sie nicht angerufen und ihnen gesagt, dass dein Bruder ins Krankenhaus muss?«
»Sie arbeiten auf ’nem Krabbenfangschiff. Da gibt’s kein Telefon.«
Nicht schlecht, dachte Roy. Aber die Ärztin schluckte die Geschichte nicht.
»Das ist schon merkwürdig«, sagte sie zu Beatrice, »dein Bruder ist so lange verschwunden und keiner in der Familie macht sich Sorgen und ruft die Polizei an.«
»Er rennt öfter mal weg von zu Hause«, sagte Beatrice ruhig, »und kommt erst nach einer Weile wieder.«
Das war Beatrice’ erste halbwegs wahre Antwort, doch ironischerweise war genau sie es, die Dr. Gonzalez vollends misstrauisch machte.
»Ich schaue jetzt mal nach Roy«, sagte sie. »In der Zwischenzeit könnt ihr zwei ja eure Geschichte ein bisschen aufpolieren.«
»Wie geht es ihm übrigens?«, fragte Beatrice.
»Besser. Er hat eine Tetanusspritze bekommen, außerdem pumpen wir ihn voll mit Antibiotika und Schmerzmitteln. Die Mittel sind ziemlich stark, deshalb schläft er viel.«
»Können wir zu ihm?«
»Jetzt noch nicht.«
Kaum war die Ärztin weg, gingen Roy und Beatrice vor die Tür, wo sie ungestört miteinander reden konnten. Roy setzte sich auf die Stufen vor der Notaufnahme, Beatrice blieb stehen.
»Das funktioniert nicht, Cowgirl. Sobald sie rausfinden, dass er nicht du ist …«
»… dann haben wir ein Problem«, stimmte Roy ihr zu und das war eindeutig das Understatement des Jahres.
»Und wenn Lonna von der Sache hört, dann kommt er ins Heim«, sagte Beatrice düster, »so lange, bis sie eine neue Kadettenanstalt gefunden hat. Vermutlich irgendwo ganz weit weg, Guam oder so, damit er nicht abhauen kann.«
Roy verstand nicht, wie eine Mutter ihr eigenes Kind rausschmeißen konnte, einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, aber er wusste, dass solche tragischen Dinge vorkamen. Er hatte auch schon von Vätern gehört, die sich so verhielten. Ein furchtbarer Gedanke.
»Uns fällt schon was ein«, versprach er Beatrice.
»Weißt du was, Tex? Du bist in Ordnung.« Sie kniff ihn in die Wange und sprang die Stufen hinunter.
»He, wo willst du hin?«, rief er ihr nach.
»Essen kochen für meinen Dad. Mach ich jeden Abend.«
»Sag mal, soll das ’n Witz sein? Du kannst mich doch hier nicht alleine lassen.«
»Tut mir Leid«, sagte Beatrice. »Aber mein Dad rastet aus, wenn ich nicht komme. Der kann sich nicht mal ’nen Toast machen, ohne sich die Fingerspitzen abzubrennen.«
»Kann Lonna ihm denn nicht Essen kochen, nur heute mal?«
»Nix da. Die steht in der Kneipe hinter der Theke.« Beatrice winkte Roy kurz zu. »Sobald ich kann, komm ich wieder. Und pass bloß auf, dass sie meinen Bruder nicht operieren oder so was.«
»Warte!« Roy sprang auf. »Sag mir, wie er wirklich heißt. Das ist wohl das Mindeste, nach allem, was passiert ist.«
»Tut mir Leid, Cowgirl, geht
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