Eulen
nicht. Ich hab einen blutigen Eid geschworen, schon vor ewigen Zeiten.«
»Wie bitte?«
»Wenn er will, dass du’s weißt, dann sagt er’s dir schon selber.« Und damit rannte sie los. Ihre Schritte verhallten in der Dunkelheit.
Roy ging langsam zurück in die Notaufnahme. Er wusste, dass seine Mutter sich Sorgen machen würde, also fragte er den Mann am Schalter, ob er mal telefonieren dürfe. Es läutete ein halbes Dutzend Mal am anderen Ende, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Roy hinterließ die Nachricht, er werde gleich nach Hause kommen, Beatrice und er hätten ihr Experiment beendet und müssten nur noch aufräumen.
Da er nun allein im Warteraum der Notaufnahme saß, kramte er den Stapel mit alten Zeitschriften durch, bis er eine Nummer der Outdoor Life fand, in der ein Artikel über Forellenfischen in den Rocky Mountains stand. Das Beste an dem Bericht waren die Fotos -Angler, die knietief in blauen Flüssen standen, deren Ufer von hohen Pappeln gesäumt waren, und das alles vor dem Hintergrund schneebedeckter Gipfel.
Roy war gerade dabei, ziemlich heftiges Heimweh nach Montana zu bekommen, als er hörte, wie sich eine Sirene näherte. Er beschloss, jetzt sei genau der richtige Moment, um sich nach einem Cola-Automaten umzuschauen, auch wenn er gerade mal zwanzig Cent in der Tasche hatte.
In Wirklichkeit jedoch wollte Roy nicht in der Notaufnahme sitzen und hautnah mitbekommen, weswegen der Krankenwagen mit Sirenengeheul vorgefahren war. Er war absolut nicht in der Stimmung, jemanden hereinrollen zu sehen, der vielleicht bei einem schlimmen Autounfall verletzt worden war, womöglich einen Menschen, der im Sterben lag.
Es gab genug Leute, die so etwas richtig spannend finden würden, aber Roy gehörte nicht dazu. Einmal, als er sieben war und mit seinen Eltern in Milwaukee lebte, war ein betrunkener Jäger mit seinem Schneemobil mit Karacho gegen eine alte Birke gefahren. Der Unfall war ganz in der Nähe des Hangs geschehen, auf dem Roy und sein Vater Schlitten fuhren. Mr. Eberhardt war den Hügel hinaufgerannt, um zu sehen, ob er helfen könne, und Roy war ihm keuchend gefolgt. Oben beim Baum sahen sie dann, dass sie nichts mehr tun konnten. Der Tote lag blutüberströmt da, völlig verrenkt war er, wie eine kaputte Puppe. Dieses Bild würde Roy nie vergessen und er wollte so etwas nie mehr sehen.
Daher hatte er keine Lust, in der Notaufnahme sitzen zu bleiben und zu warten, bis ein Schwerverletzter hereingebracht wurde. Er verdrückte sich also durch eine Seitentür und lief durch die Gänge des Krankenhauses, bis eine Schwester ihn fragte, wo er hinwolle.
»Ich hab mich verlaufen, glaube ich«, sagte Roy und tat sein Bestes, verwirrt auszusehen.
»Den Eindruck hab ich allerdings auch.«
Die Schwester brachte ihn durch einen Nebengang zurück in die Notaufnahme, wo Roy zu seiner Erleichterung nicht das befürchtete Chaos vorfand und auch keine Verletzten mit blutenden Wunden. Es war genauso still dort wie zuvor.
Verwirrt ging Roy ans Fenster und schaute hinaus. In der Einfahrt stand kein Krankenwagen, nur ein Streifenwagen der Polizei von Coconut Cove. Vielleicht war ja gar nichts gewesen, dachte er und kehrte zu seiner Zeitschrift zurück.
Kurz darauf hörte er Stimmen hinter den Doppeltüren, die zu dem Behandlungsraum führten, in den sie Fischfinger gebracht hatten. Eine lautstarke Diskussion fand dort statt und Roy spitzte die Ohren.
Eine Stimme insbesondere übertönte alle anderen und zu seinem Kummer kam sie Roy deutlich bekannt vor. Nervös saß er da und überlegte niedergeschlagen, was er jetzt machen sollte. Dann hörte er noch eine vertraute Stimme, und nun wusste er, dass er keine Wahl hatte.
Er ging auf die Doppeltüren zu und stieß sie auf. »Mom! Dad!«, rief er. »Hier bin ich.«
Officer Delinko hatte darauf bestanden, die Eberhardts mit dem Streifenwagen zur Klinik zu fahren. Es gehörte sich so, und außerdem war es eine prima Gelegenheit, bei Roys Vater Punkte zu sammeln.
Der Beamte hoffte nur, dass der Sohn von Mr. Eberhardt nicht in diesen Unfug auf der Baustelle des Pfannkuchenrestaurants verwickelt war. Das wäre allerdings eine ganz blöde Geschichte!
Auf der Fahrt zum Krankenhaus saßen Roys Eltern hinten und unterhielten sich leise. Mrs. Eberhardt sagte, es sei ihr schleierhaft, wie Roy von einem Hund gebissen worden sein könne, während er an einem Experiment für Biologie arbeitete. »Vielleicht hatte es etwas mit dem vielen Hackfleisch
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