Eulen
sprang gleichzeitig hoch, um sich vor einem hungrigen Raubfisch zu retten.
»Cool! Da sind sie!« Beatrice’ Stiefbruder zeigte auf das Wasser, wo die zappelnden Fische ein V bildeten. Er legte sich flach auf den Bauch und sagte Roy, er solle ihn an den Knöcheln festhalten.
»Wozu das denn?«
»Los, mach schon, Mann!«
Während Roy ihn an den Füßen hielt, warf Fischfinger sich weit nach vorn und lehnte sich mit dem drahtigen Oberkörper über den Rand des Ruderhauses hinaus, so dass er über dem Wasser hing.
»Lass jetzt bloß nicht los!«, schrie er und streckte seine gebräunten Arme aus, bis er mit den Fingerspitzen das Wasser berührte.
Roy konnte ihn fast nicht mehr halten, und so beugte er sich vor und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Jungen. Wahrscheinlich würden sie gleich alle beide kopfüber ins Wasser fallen, aber solange sie nicht an einer Austernbank entlangschrappten, war das auch okay.
»Da sind sie! Achtung!«
»Ich halte dich.« Roy spürte, wie Fischfinger noch einmal eine ruckartige Bewegung nach vorn machte, aber er schaffte es, nicht loszulassen. Er hörte ein Grunzen, ein Plätschern und dann ein triumphierendes »Ju-huu!!!«.
An den Gürtelschlaufen der Jeans zog er den Jungen sicher auf das Ruderhaus zurück. Der drehte sich um und hielt Roy strahlend seine gewölbten Hände vors Gesicht.
»Schau mal, aber vorsichtig«, sagte er zu Roy.
Zwischen den Händen des Jungen sah er einen glänzenden Fisch mit einem stumpfen Maul. Wie man ein so glitschiges, kleines Ding mit bloßen Händen aus dem Wasser holen konnte, war Roy ein Rätsel. Selbst der Fischadler wäre beeindruckt gewesen.
»Das also ist eine Meeräsche«, sagte Roy.
»Genau. Und daher hab ich meinen Spitznamen.« Der Junge lächelte stolz.
»Und wie genau hast du das gemacht? Was ist der Trick dabei?«
»Übung«, sagte der Junge. »Glaub mir, das ist tausendmal besser als Hausaufgaben machen.«
Der Fisch, der in Fischfingers Händen zappelte, glitzerte blau und grün. Der Junge hielt ihn übers Wasser und öffnete die Hände. Mit einem sanften Plopp war die Meeräsche in einem Wirbel verschwunden.
»Tschüss, Kleiner«, sagte der Junge. »Schwimm schnell!«
Später, als sie zum Ufer zurückkehrten, siegte Roys Neugier und er hörte sich selbst sagen: »Okay, jetzt kannst du’s mir erzählen. Was geht heute Abend ab bei Mama Paula?«
Fischfinger, der gerade eine kleine Schnecke von seinen neuen Turnschuhen abschüttelte, warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Es gibt nur eine Möglichkeit, das rauszufinden«, sagte er. »Da sein.«
15
Roy saß im Schneidersitz auf dem Fußboden und schaute hinauf zu dem Cowboy auf dem Plakat vom Rodeo in Livingston. Er wünschte, er wäre genauso mutig wie so ein erstklassiger Bullenreiter, aber das war er nicht.
Die Sache bei Mama Paula war ihm einfach zu riskant; irgendwer oder irgendwas würde dort auf sie warten. Die Kampfhunde mochten weg sein, aber das Unternehmen würde das Grundstück für das neue Restaurant nicht lange unbewacht lassen.
Abgesehen davon, dass er Angst hatte, geschnappt zu werden, hatte Roy auch ernsthafte Bedenken, etwas zu tun, das verboten war. Und Vandalismus war nun mal eine Straftat, daran gab es nichts zu deuteln, ganz gleich, wie edel die Motive sein mochten.
Trotzdem konnte er den Gedanken an den Tag nicht ertragen, an dem die Eulenbauten von den Bulldozern zerstört würden. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Euleneltern hilflos im Kreis herumflogen, während ihre Kinder unter Tonnen von Erde begraben wurden.
Die Vorstellung machte Roy traurig und wütend. Was machte es schon, wenn Mama Paula die nötigen Genehmigungen hatte? Nur weil etwas legal war, war es nicht automatisch auch richtig.
Roy hatte die Diskussion zwischen seinem Kopf und seinem Herzen noch nicht beenden können. Es musste doch einen Weg geben, wie er den Vögeln – und Beatrice’ Stiefbruder – helfen konnte, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Er musste sich einen Plan ausdenken.
Ein Blick aus dem Fenster erinnerte Roy daran, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Die Schatten waren länger geworden, und das bedeutete, dass die Sonne bald unterging und Fischfinger sich auf den Weg machen würde.
Bevor er das Haus verließ, steckte er kurz den Kopf zur Küche hinein, wo seine Mutter am Herd stand.
»Wo willst du hin?«, fragte sie.
»Nur ’ne kleine Radtour.«
»Schon wieder? Du bist doch eben erst zurückgekommen!«
»Wann gibt’s
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