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Eulen

Eulen

Titel: Eulen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiassen
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Abend«, sagte Fischfinger.
    »Oh.«
    »Willst du nicht fragen, was ich vorhabe?«
    »Es ist vermutlich besser, wenn ich’s nicht weiß«, sagte Roy. Er überlegte, ob er erwähnen solle, dass sein Vater Justizbeamter war. Vielleicht würde Fischfinger dann verstehen, wieso Roy so ungern mitmachen wollte, auch wenn er für diesen Eulenkreuzzug durchaus Sympathien hatte. Aber Roy konnte den Gedanken nicht ertragen, seine Eltern durch die Gitterstäbe einer Gefängniszelle hindurch ansehen zu müssen, falls er und Fischfinger geschnappt würden.
    »Mein Dad arbeitet für die Regierung«, sagte Roy.
    »Stark«, sagte der andere. »Meiner schiebt sich bloß den ganzen Tag gefüllte Sandwiches in die Mikrowelle und glotzt Sport. Komm mit, Tex, ich zeig dir was! Was Tolles.«
    »Roy heiß ich.«
    »Okay, Roy. Mir nach!«
    Und damit rannte er los. Wieder einmal.
     
    In einem Sommer in den späten Siebzigern, lange bevor Roy Eberhardt zur Welt kam, braute sich über dem Golf von Mexiko ein kleiner, aber heftiger tropischer Wirbelsturm zusammen und zog über ein Gebiet nur wenige Meilen südlich von Coconut Cove hinweg. Niemand wurde verletzt oder getötet, obwohl die mehr als drei Meter hohe Sturmwelle schwere Schäden an Straßen und Gebäuden in Küstennähe anrichtete.
    Zu Schaden gekommen war unter anderem auch ein Krabbenfangboot namens Molly Bell, das aus seiner Verankerung gerissen und einen Gezeitenfluss hochgeschwemmt wurde. Dort kenterte es und versank.
    Der Sturm ließ nach, das Hochwasser ging zurück und auf einmal ragte das verlorene Krabbenboot halb aus dem Wasser heraus. Da blieb es liegen, denn der Fluss war so schmal und die Strömung so gemein, die Austernbetten waren so tückisch, dass kein Kapitän Lust hatte, sein eigenes Boot zu riskieren, um die Molly Bell an Land zu ziehen.
    Von Jahr zu Jahr wurde sie kleiner und ramponierter, ihr kräftiger Rumpf und das Deck fielen der zerstörerischen Arbeit von Holzwürmern und Muscheln sowie dem Wetter zum Opfer. Nach zwei Jahrzehnten schaute von der Molly Bell nur noch das schräge, verblichene Dach des Ruderhauses aus dem Fluss – und das war gerade groß genug, dass zwei Jungen nebeneinander darauf sitzen konnten, die Gesichter der Sonne zugewandt, die Füße im blassgrünen Wasser.
    Roy staunte, wie still es hier war und wie die dichten Mangroven den Ort vom Lärm und Getöse der Zivilisation abschotteten. Fischfinger hatte die Augen geschlossen und atmete gierig die salzige Luft ein.
    Ein einsamer Fischadler schwebte über ihnen, angelockt von schimmernden Köderfischen im seichten Wasser. Weiter stromaufwärts lauerten kleine Tarpone auf ihr Mittagessen. Ganz in der Nähe, im selben Baum, in dem die Jungen ihre Schuhe aufgehängt hatten, bevor sie zu dem kaputten Boot geschwommen waren, stand ein weißer Reiher majestätisch auf einem Bein.
    »Vor zwei Wochen hab ich hier ein Krokodil gesehen«, sagte Fischfinger. »An die drei Meter lang.«
    »Na toll – und das erzählst du mir erst jetzt?«, fragte Roy lachend.
    Aber in Wirklichkeit fühlte er sich absolut sicher. Der Fluss war unglaublich schön und wild, ein versteckter Zufluchtsort, nur zwanzig Minuten von seinem eigenen Garten entfernt.
    Diesen Ort hätte ich auch selbst entdecken können, dachte Roy, wenn ich nicht so viel Zeit damit verbracht hätte, rumzuhängen und Heimweh nach Montana zu haben.
    »Wegen der Krokos musst du dir hier keine Sorgen machen«, sagte Fischfinger. »Aber wegen der Mücken.«
    »Bist du mal mit Beatrice hier draußen gewesen?«
    »Nur einmal. Da hat ein Krebs sie in den großen Zeh gebissen, seitdem ist das Thema für sie erledigt.«
    »Armer Krebs«, sagte Roy.
    »Kann man wohl sagen.«
    »Darf ich dich mal was fragen?«
    »Alles, außer nach meinem Namen«, sagte Fischfinger. »Ich will keinen und ich brauch auch keinen. Jedenfalls nicht hier draußen.«
    »Was ich fragen wollte«, sagte Roy, »deine Mutter und du – wo ist da das Problem?«
    »Keine Ahnung. Wir können einfach nicht miteinander, das war schon immer so«, sagte Fischfinger ganz nüchtern. »Ich mach mir schon lange keinen Kopf mehr deswegen.«
    Roy konnte sich das schlecht vorstellen.
    »Und was ist mit deinem Dad? Dem richtigen?«
    »Nie gesehen.« Der Junge zuckte mit den Achseln. »Nicht mal ein Bild kenn ich von ihm.«
    Roy wusste nicht, was er sagen sollte, deshalb ließ er das Thema fallen. Stromabwärts gab es eine Bewegung im Wasser, und ein Dutzend silbriger Fische in Zigarrengröße

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