Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
und verloren.
Unverhofft und plötzlich
Der 21. April 2008 war ein Montag, ein gewöhnlicher Schultag, der nichts Spannendes erahnen ließ.
Die Tage zuvor verliefen ohne chaotische Vorfälle. Pascal blieb auf Abstand. Er schickte keine SMS, keine E-Mail, rief nicht an und hielt sich auch in der Schule von mir fern. In den letzten Nächten schlief ich gut. Der friesische Dauerregen eignete sich perfekt als Soundtrack zur Untermalung meines Tiefschlafs.
Als ich am Montagmorgen den Balkon betrat, ließ das Prasseln des Regens nach. Einzelne Sonnenstrahlen schienen durch die tröpfelnde Wolkendecke. Das Lichtband eines Regenbogens prangte über dem Rapsfeld neben unserem Haus.
Sids ratterndes Motorengeräusch durchbrach die morgendliche Stille. Hastig schnappte ich meine Schultasche und beeilte mich nach unten zu kommen.
»I wanna live, I want to live my life, I wanna live, I want to live my life«, dröhnte mir der «The Ramones« Song in voller Lautstärke entgegen. Zu meiner Erleichterung drehte Nik die Musik leiser, als ich mich auf den Beifahrersitz sinken ließ.
Während der Fahrt zum Gymnasium trommelten Niks Finger im Takt der Musik auf das Lenkrad. Als wir in die Straße zu unserer Schule einbogen, manövrierte er
Sid
langsam durch die Schülergruppen, die die Fahrbahn überquerten. Wir parkten den Mustang gleich vor dem kleinen Tante-Emma-Laden gegenüber vom Schulhof. Heute waren wir früh dran. Nik zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und blinzelte gegen die gleißende Morgensonne.Schnell sprang ich aus dem Auto und griff auf die Rückbank nach meiner Schultasche. Als Nik ausstieg, heftete sich sein Blick an einen weißen Oldtimer. Leuchtend stach der Wagen unter den anderen Autos hervor.
»Wow«, rief er bewundernd. »Wer von unseren Lehrern hat denn eine Erbschaft gemacht und fährt dieses Coupé?«
Andächtig trat er näher und strich mit den Fingerspitzen über die weiße Motorhaube.
»Den hab ich ja hier noch nie gesehen.« Achselzuckend schüttelte ich den Kopf. »Ich hab keine Ahnung.«
Widerwillig löste sich Nik von dem Wagen. »Ich gehe noch eben in den Laden, Brötchen kaufen. Soll ich dir was mitbringen?«
»Ja, zwei Croissants wären nicht übel«, sagte ich und drückte Nik zwei Euro in die Hand. »Danke. Ich geh dann schon mal vor zum Portal. Da warte ich dann.«
»Okidoki. Dann bis gleich.« Er schaute sich noch einmal nach dem weißen Auto um, bevor er in der Ladentür verschwand.
Schnellen Schrittes überquerte ich die Straße und näherte mich dem Portal. Adriana, Curly und Vio standen dort. Und neben ihnen ein dunkelhaariger Junge. Nach nur wenigen Metern erkannte ich ihn.
»Mae!« Grinsend über das ganze Gesicht, wirbelte Vio auf mich zu. Energisch zog sie mich an meinem Arm die Treppen hinauf, geradewegs zu dem Neuen.
Er stand lässig mit dem Rücken an eine Säule gelehnt. Seine Haare waren pechschwarz und die Haut so blass, wie sie mir vom Foto in Erinnerung waren. Sein athletischer Körper zeichnete sich unter dem schwarzen T-Shirt schemenhaft ab, über welches das silberne Drachenamulett fiel. Er trug eine schwarze Lederjacke, dunkle Jeans und Achtloch-Doc-Martens. Ganz schön finster. Cool vor sich hinlächelnd, blickte er mir entgegen.
»Das ist Konrad.« Vio deutete überschwänglich auf den Jungen und legte ihren Arm um seine Taille. »Und das ist Mae.«
Konrad reichte mir seine sehnige Hand. Die Berührung seiner kühlen Finger und der Blick seiner eisig silberblauen Augen schossen elektrisierend durch meinen Körper.
»Hallo Mae, schön dich kennenzulernen.« Konrads fester Händedruck hielt mich aufrecht. Seine tiefe Stimme passte zu seinenscharf geschnittenen Gesichtszügen. Irgendetwas Düsteres und Gefährliches schien hinter seinem guten Aussehen zu lauern.
»Du wirst es nicht glauben, aber Konrads Familie ist entfernt mit den
von Bingens
verwandt. Ist das nicht ein Zufall«, unterbrach Adriana meine Gedanken.
»Ähm … ja … wirklich«, stotterte ich. »Du hast gar nichts davon erwähnt«, sagte ich an Curly gewandt, um meine Unsicherheit zu überspielen.
Curly zuckte die Schultern. »Ich hab es auch erst gestern erfahren, dass sie herkommen.« Dann schaute sie auf den Schuleingang und ihre Miene hellte sich auf. »Ah, da kommt Sam wieder.«
Oh mein Gott! Mehr konnte ich in diesem Moment nicht denken.
Er war groß, ziemlich groß sogar, hatte breite Schultern, die ich unter der Lederjacke nur erahnen konnte und honigblondes Wuschelhaar,
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