Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
die Dusche, da er jetzt eh nicht mehr schlafen konnte. Ich ging ran. Adrianas besorgte Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung, sie wollte wissen, wie es mir ging. Sie hatte sich große Sorgen gemacht und wusste natürlich sofort, dass Pascal alleine die volle Schuld traf. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich auf einen anderen Anruf wartete und so spulte ich die Story ein zweites Mal ab, gab mir Mühe meiner Stimme einen möglichst zerknirschten Unterton zu verleihen. Meine Rechnung ging auf. Für Adriana war alles sonnenklar, wäre Pascal nicht so aufdringlich gewesen, hätte ich nie und nimmer ohne Bescheid zu geben das Schulgebäude verlassen und wäre nicht durch den Starkregen gelaufen. Alles Pascals Schuld. Und damit war das Thema für Adriana erledigt. Sie ging nahtlos dazu über mir von dem gestrigen
einfach phänomenalen
Auftritt vorzuschwärmen, ohne dabei zu vergessen die höchsten Lieder auf meinen Bruder zu singen. Ich bemühte mich interessiert zu klingen, während ich Strichmännchen auf einen Block kritzelte. Zum Glück erschienen meine Eltern in der Tür, sodass ich einen Grund hatte, das Telefonat zu beenden. Wenig später saß ich mit meinen Eltern und meinem Bruder in der Küche. Mam und Paps schwärmten von dem traumhaften Hotel, in dem sie während des Kongresses untergebracht waren, dem tollen Essen und der malerischen Landschaft. Auch hierbei hörte ich nur mit einem halben Ohr zu, nickte ab und an und gab vor ihren Erzählungen gespannt zu folgen. Dabei schwirrten die offenen Fragen in meinem Kopf umher, wie ein Hornissenschwarm. Ich war froh darüber, als meine Eltern im Schlafzimmer verschwanden, um ihre Koffer auszupacken.
Ich ging in mein Zimmer und setzte mich auf mein gemachtes Bett. Der Radiowecker zeigte 14:12 Uhr an. Bis jetzt kein Anrufvon Curly. Ich schaltete mein Handy an. Aber auch hier kein Lebenszeichen von ihr. Mein Blick wanderte zu meinem Schreibtisch und weckte die Erinnerung an Sam, wie er blutverklebt in seinem zerrissenen Hemd an der Holzplatte lehnte. Sam ein Vampir. Ich lachte auf und schüttelte den Kopf. Verrückt. Aber nicht minder verrückt, als das, was ich gestern erlebt hatte. Ich knibbelte ratlos an meinem Daumennagel und blinzelte in den Sonnenstrahl, der in mein Zimmer schien. Seufzend zog ich meinen Rucksack auf das Bett und durchforstete meine Schulunterlagen nach ungemachten Hausaufgaben – ohne Erfolg. Ich hasste Sonntage. Was sollte ich mit so viel unausgefüllter Tageszeit anfangen? Mit welchem Geheimrezept konnte ich diesen Tag nur schnell rumkriegen, damit ich Sam bald sah? Der Drang, mit ihm reden zu wollen, ihm ein Loch in den Bauch zu fragen, verursachte ein aufgeregtes Kribbeln in meinen Fingerspitzen. Wieder schaute ich auf das bläuliche Display meines Handys, obwohl ich wusste, dass keine SMS von Curly eingegangen war. Die Zeit mit einem Tagebucheintrag totzuschlagen, kam für mich nicht infrage, denn die Beweislast für meine Unzurechnungsfähigkeit wäre erschlagend gewesen, wenn jemand von meinen jüngsten Abenteuern erfuhr. Ich verspürte das dringende Bedürfnis, nach draußen zu gehen, mich zu bewegen. Davon würde mich auch Konrad nicht abhalten können, solange es draußen hell und kein Vollmond war. Mein Handy und den Fahrradschlüssel steckte ich in die Reißverschlusstasche meines Hoodies. Curly konnte mich auch erreichen, wenn ich nicht zu Hause hockte und die Decke anstarrte.
Ich radelte ohne konkretes Ziel von unserem Hof und bog bald von der Straße ab und gelangte auf einen unbefestigten Schotterweg. Ziellos fuhr ich den Pfad entlang, bog mal rechts und mal links ab, unsichtbare Strippen schienen mich zu ziehen. Die Abwechslung von Feld und Wald bemerkte ich kaum, ebenso weder das Gezwitscher der Vögel, noch die leichte Rötung auf meinem Nasenrücken, die sich schon bald durch einen Sonnenbrand bemerkbar machen würde. Ich erschrak, als vor mir das schmiedeeiserne Tor und dahinter das Anwesen der Familie Drachenberg auftauchten. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich diesen Weg eingeschlagen hatte, der zu dem Hof führte. Verwirrt wollte ich das Rad herumreißen, wieder zurückfahren, aber zu spät. An demTor lehnte Sam. Die verspiegelten Gläser seiner Sonnenbrille reflektierten das Sonnenlicht und er spähte mir entgegen, fast so als hätte er meinen Besuch erwartet. Für einen Augenblick blieb mir die Luft weg, mein Herzklopfen konnte man garantiert bis zum Tor hören. Verlegen radelte ich mit
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