Eulenspiegel
gestärktes Hemd mit silbergrauer Fliege, goldene Manschettenknöpfe, polierte Schuhe. Sein Haar war graumeliert und penibel gescheitelt, der kleine Schnurrbart frisch gestutzt. Die Augen hatte er halb geschlossen; das Erbrochene im aufgerissenen Mund war feucht.
»Lange kann er noch nicht tot sein«, meinte Toppe.
»Keine zwei Stunden«, antwortete van Gemmern. Auch er sprach leise.
»Habt ihr schon herausgefunden, wer der Mann ist?« wollte Toppe wissen.
»Hermann-Josef Glöckner«, las van Appeldorn von seinem Block ab. »Rentner, früher Konrektor an der Hauptschule. Dreiundsiebzig Jahre alt.«
Er gab dem Wachtmeister an der Kirchentür ein Zeichen, und kurz darauf kamen zwei Männer vom Bestattungsunternehmen herein. Vor dem Altar war nicht genug Platz, und so stellten sie den Sarg im Mittelgang ab und packten den Toten an Händen und Füßen. Toppe mochte nicht hinschauen und betrachtete statt dessen den hohen Altar: Ecce panis angelorum. Daneben auf einer Holzplakette: St. Martinus zu Bimmen.
Er hörte den Sargdeckel klappern und drehte sich wieder um. Die Kirche war klein mit einem schlichten, nicht sehr hohen Tonnengewölbe, nur neun Bänke auf der linken Seite, zwölf auf der rechten, alle aus altersdunklem Holz. Auch die Decke war holzvertäfelt, und es wäre sehr düster gewesen, hätte man die kleinen Fenster nicht in hellen Farben modern bleiverglast. Wie alt mochte das Gebäude sein? Sechzehntes Jahrhundert? Vielleicht noch älter.
»Ein pensionierter Lehrer«, sagte er langsam. »Wie der wohl ins Muster paßt?«
»Wir werden ja sehen«, meinte van Appeldorn achselzuckend und nahm seinen Block von der Kanzel.
»Gefunden hat ihn übrigens seine eigene Frau, zusammen mit dem Küster und zwei anderen Kirchgängern. Ich habe nur zwei Sätze mit ihr gewechselt, dann hat der Küster sie mit zu sich nach Hause genommen. Er wohnt gleich nebenan.«
»Entschuldigung«, unterbrach Rother ihn. »Aber wir brauchten jetzt ein wenig Platz hier.«
Van Gemmern hatte schon angefangen, das Triptychon einzupudern.
Als sie ins Freie traten, klickten Kameras los, und eine ganze Horde Reporter stürzte auf sie zu. Selbst Mikrofone hielt man ihnen unter die Nase. Alle redeten durcheinander.
»Ritualmord. Blasphemie«, hörte Toppe heraus und immer wieder: »Eulenspiegel.«
Auch Karin Hetzel war bei der Meute, aber sie hielt sich im Hintergrund.
»Ruhe, verflucht!« brüllte van Appeldorn und stieß mit der Schulter zwei Männer aus dem Weg.
»Bitte haben Sie Verständnis«, sagte Toppe, als es leiser wurde. »Im Augenblick können wir Ihnen lediglich Spekulationen anbieten, und daran dürften Sie kaum interessiert sein. Aber morgen früh um neun werden wir eine Pressekonferenz geben. Ich verspreche Ihnen, daß Sie dann alle Informationen bekommen. Und jetzt lassen Sie uns bitte unsere Arbeit tun und behindern die Ermittlungen nicht weiter!«
Murrend zogen sich die Presseleute nach und nach zurück, Autos fuhren ab, und allmählich wurde es ruhig. Übrig blieben zwanzig oder dreißig Menschen im Sonntagsstaat, die sich schweigend um den Pfarrer scharten und die beiden Kripoleute verstohlen beobachteten.
Toppe ging mit großen Schritten über den gekiesten Vorplatz zum Weg an der Nordseite und sah sich dann um. Die Kirche schmiegte sich an den Deich. In Halbkreisen gruppierten sich zwei Hände voll Häuser drum herum. Eine Hauptstraße, die Heerstraße, mit einem Wohnklotz, der wie ein Schlag ins Gesicht war, ein paar namenlose asphaltierte Wege. Bimmen, ein vergessenes Dörflein, hundert Meter bis zum Rhein, dreihundert vielleicht bis zur Grenze, und wenn zweihundert Seelen hier lebten, dann war das viel.
Hier blieb mit Sicherheit nichts unbeobachtet.
Er schnupperte: Bei den Leuten im rosa gestrichenen Haus gab es heute Rotkohl.
Die Kirchgänger standen immer noch da und glotzten ihn an. Es hatte keinen Sinn, sie gleich jetzt und hier zu fragen, ob sie etwas gesehen hatten, ob sie etwas wußten. Sie würden schweigen, vielleicht die Köpfe schütteln. Er kannte das schon, man log nicht, man hielt einfach den Mund. Eine Chance hatte er nur, wenn er mit jedem allein sprach und sich Zeit nahm für all das, was jeder von jedem hielt und dachte – »aber von mir haben Sie das nicht!« –, was man munkelte und was man mit eigenen Augen gesehen haben wollte – »Tatsache, Herr Kommissar! Da können Sie meine Frau fragen.« Eigentlich machten gerade diese Gespräche ihm immer Spaß, und er hatte auch ein
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