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Eulenspiegel

Eulenspiegel

Titel: Eulenspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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den Hoek war über siebzig, aber nichts an ihm wirkte alt. Sein Haar hatte die Farbe von halbreifen Tomaten und stand unter der blauen Baskenmütze in störrischen Büscheln vom Kopf ab. Seine kleinen, kreisrunden Augen glitzerten rabenschwarz.
    »Eulenspiegel? Wer soll das sein? Ich habe seit vielen Wochen keine Zeitung mehr gelesen, wie Sie sich wohl vorstellen können. Die Sammlung mußte transportiert, sortiert und gehängt werden und tausend andere Dinge. Selbst wenn in Rußland wieder ein Kernkraftwerk in die Luft geflogen wäre oder die Chinesen uns den Krieg erklärt hätten, ich wüßte es nicht.«
    Astrid erläuterte ihm mit viel Geduld, was er wissen mußte. Sie wollte ihn nicht in Panik versetzen, aber ihm sollte schon klar sein, wie ernst die Sache war.
    Es war mühsam, denn op den Hoek lief immer wieder zum Fenster und hatte seine Augen überall.
    »Also gut«, meinte er schließlich, »ich habe verstanden: Wenn mich jemand anruft, weil er vor oder bei oder nach der Eröffnungszeremonie ein Interview oder etwas ähnliches mit mir machen will, dann soll ich mich umgehend bei Ihnen melden. Richtig? Nein! Geben Sie mir bloß keine Karte! Davon habe ich an die zweihundert Stück in sämtlichen Taschen.«
    »Aber Sie brauchen unsere Nummer«, meinte Astrid ein wenig ratlos. »Irgendwo müssen Sie sich doch die wirklich wichtigen Dinge notieren.«
    Er guckte genauso ratlos.
    »Gibt es irgendwas, das Sie immer bei sich haben?«
    Plötzlich grinste er schelmisch und zog die Baskenmütze vom Kopf. »Die lege ich nur zum Schlafen ab. Geben Sie mir Ihre Karte, ich kann sie innen unter das Etikett schieben.«
    »Und Sie melden sich unmittelbar, versprochen? Nicht erst noch zehn Bilder aufhängen oder ein entspannendes Vollbad nehmen.«
    »Versprochen.«
    Sie zweifelte daran, daß er die Geschichte wirklich ernst nahm. Er hatte andere Sorgen – noch.

    Toppe saß wieder über den Büchern. Sein Bild von Eulenspiegel wurde immer klarer. Ob ihnen das helfen würde, war ungewiß. Und natürlich konnte er falsch liegen, ganz falsch. Natürlich konnte es sich um Profis handeln.
    Aber es war ihm egal, die Meinhard hatte ihn in Urlaub geschickt, und wie er sich in seiner Freizeit vergnügte, war einzig und allein seine Sache.
    Er las noch einmal seine Notizen zur sexuellen Motivation von sadistischen Gewalttätern durch: Eine echte sexuelle Orientierung war ausgesprochen selten. Was auf den ersten Blick danach aussah, war vielmehr die Lust am Quälen des wehrlosen Opfers, die Freude an der Erniedrigung, das berauschende Gefühl von Macht.
    Ihr Eulenspiegel hatte seine Opfer kränken, lächerlich machen wollen. Und wo hatte er sie gepackt? Da, wo alle drei Opfer am verletzlichsten waren. Bei ihrer Männlichkeit, dem Symbol ihrer Potenz.
    Das FBI arbeitete seit langem mit standardisierten Täterprofilen, aber deren Kriterien schienen Toppe doch ein wenig überzogen. Trotzdem, warum sollte er es nicht einmal durchspielen?
    Er suchte also nach einem männlichen Weißen, vermutlich zwischen 30 und 50 Jahre alt.
    Wahrscheinlich lebte der Mann in keiner festen Beziehung, war ein selbstbezogener Einzelgänger, der keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer nahm.
    Er hatte ein labiles Selbstwertgefühl und besonders vor den Taten ein extremes Gefühl des Versagens. Dabei nahm er das eigene Versagen als Teil einer ungerechten Welt wahr; nicht er selbst, sondern andere waren für sein Schicksal verantwortlich. Autoritäten traute er nicht und schätzte sie gering.
    Toppe lachte laut auf: Wenn man dieses Portrait in seinen Formulierungen abschwächte, traf es auf eine ganze Menge Leute zu, die er kannte. Und wenn er nicht aufpaßte, bald sogar auf ihn selbst.
    Ächzend streckte er sich und zündete eine Zigarette an. Alles könnte so wunderbar zusammenpassen, wären da nicht der Postraub und dieses dämliche Isolierband.
    Wie sagte Ackermann immer? Höchste Zeit, die kleinen, grauen Zellen ins Spiel zu bringen.
    Von der Wiese drang das klägliche Blöken der Lämmer in sein Zimmer. Mist, er hatte vergessen, sie zu tränken. Noch immer in Gedanken stapfte er in die Küche und füllte einen Eimer mit Wasser. Drüben am Waldrand, gleich am Ende des Weges, stand eine staubige, schwarze Limousine. Zu sehen war niemand.
    Sicher nur ein paar Spaziergänger.
    An einem Morgen mitten in der Woche?
    Müssen Rentner sein.
    In einem amerikanischen Schlitten?
    Er schleppte den Eimer zur Vordertür; in zwei Minuten konnte er wieder drinnen

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