Eulenspiegel
Charlotte Meinhard war Feuer und Flamme. Sehr richtig, man dürfe sich zu diesem Zeitpunkt nicht darauf verlassen, daß es keine weiteren Attentate geben würde. Und sofort berief sie die erste Krisensitzung ein.
Van Appeldorn besorgte Pläne vom Schloß und von der Parkanlage. Ein Sicherheitskonzept wurde erarbeitet.
Man würde sämtliche verfügbaren Polizisten brauchen, denn das Gelände war groß und unübersichtlich, und sie wollten in drei Schichten arbeiten, schon am Freitag mit der Bewachung beginnen.
Der Ministerpräsident, der als Schirmherr anwesend sein würde, war inzwischen offenbar über die Attentate in Kleve informiert und zeigte sich besorgt.
Zwei Krisensitzungen mit seinen Sicherheitsbeamten wurden anberaumt. Der Landesvater bekam eine Kopie des Sicherheitskonzeptes, vier Leibwächter wurden ihm zugeteilt, dann erst war er einigermaßen beruhigt.
Die Meinhard hatte offensichtlich dazugelernt: Sie ordnete für alle Polizeibeamten Zivil an. Auf einer Sitzung wurde die Kleiderordnung festgelegt. Das folgende Treffen war die einzig echte Krisensitzung: Nicht jeder Polizist besaß einen dunklen Anzug, nicht jede Beamtin ein schwarzes Kostüm oder Kleid. Man war ja gern bereit, sich die entsprechenden Dinge zu kaufen, aber wer übernahm die Kosten? Und durften die Beamten, die draußen ihren Dienst taten, einen Mantel tragen, und mußte der auch »fein« sein?
Am Mittwoch entschloß sich die Chefin, das BKA über ihre Pläne nicht in Kenntnis zu setzen und berief statt dessen zwei Sitzungen ein; auf der ersten erhielt jeder einzelne Beamte noch einmal die genauen Instruktionen und durfte sie im Anschluß sogar in schriftlicher Form mit nach Hause nehmen. Die zweite Sitzung fand im K 1-Büro mit dem eigentlichen »Krisenstab« statt, der sich aus van Appeldorn, Astrid, Flintrop, Heinrichs und der Meinhard zusammensetzte. Sie begann mit der Frage: »Haben wir irgend etwas übersehen?« und endete mit der Feststellung: »Es kann eigentlich nichts schiefgehen.« Schloß Moyland würde besser bewacht sein als die Bank von England.
In diesen Tagen war Toppe überhaupt nicht traurig über seinen Zwangsurlaub. Meistens schlief er lange, und auch am Donnerstag wurde er erst wach, als er den Briefkasten klappern und den Postmann frohgemut pfeifen hörte. Es war fast Mittag.
Als er den Briefkasten öffnete, fiel ihm der große, braune Umschlag schon entgegen. Ein gepolstertes Kuvert, an ihn adressiert, mit dem Vermerk persönlich, kein Absender.
»Denken Sie an Briefbomben.« Der Poststempel war leicht verwischt, und Toppe konnte nicht entziffern, wo der Umschlag aufgegeben worden war. In seinem Schreibtisch hatte er eine Lupe. Bonn 1 las er.
Und was machte er jetzt mit dem Ding? Es fühlte sich ganz weich an, und ticken tat es auch nicht. Er griff zum Telefon und hatte Glück: Van Gemmern war im Labor.
»Schütteln Sie das Teil nicht, drücken Sie nicht darauf herum, und machen Sie es auf keinen Fall auf. Nehmen Sie es sanft, legen Sie es vorsichtig in Ihr Auto und kommen Sie sofort hierher.«
Toppe kam sich ein bißchen dämlich vor, besonders als er durch die Wache marschierte, den Brief wie ein dickes, rohes Ei in den Händen. Die Kollegen waren so perplex, daß ihnen keine Kommentare einfielen.
Van Gemmern wartete schon in der Tür zum Labor und nahm den Umschlag mit sicherem Griff. »Ich will, daß Sie draußen bleiben!«
Toppes Protest ignorierte er. Er schloß einfach die Tür und verriegelte sie.
Es dauerte, und Toppe fing langsam an zu schwitzen, aber dann erklang lautes Gelächter aus dem Labor. Gott sei Dank, falscher Alarm!
»Wenn es Ihnen nur nicht leid tut, daß Sie das Päckchen hergebracht haben«, feixte van Gemmern, als er aufschloß.
Auf dem Tisch lagen ein dickes Bündel Geld und ein Blatt Papier.
Van Gemmern hielt Toppe ein Paar Gummihandschuhe hin, die er folgsam überzog, bevor er den Brief hochnahm.
Ein kleines Geschenk für den Herrn Hauptkommissar. FANGEN SIE EULENSPIEGEL! Unser Honorar wird noch einmal doppelt so hoch sein. Ihre russischen Freunde.
Toppe ließ das Papier auf den Tisch fallen und rieb sich die Augen. Die Gummihandschuhe ziepten an seinen Wimpern und Brauen.
»Fünfzigtausend Mark!« Van Gemmern war mit dem Zählen fertig und guckte sich jetzt den Brief an. »Computerdruck. Wir leben in schlechten Zeiten, Toppe. Die alten Underwoods und Olivettis mit einem verwischten ›E‹ oder dem leicht verschobenen ›K‹ sind endgültig passe. Aber vielleicht
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