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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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so leicht mit ihr. Sie hat mir die Wortbälle zugeworfen, so bemüht, es richtig zu machen, dass ich sie leicht zurückgeben konnte, mit einer Hand, mit links sozusagen. In einem perfekten Team könnte das Spiel ewig so weitergehen. Ich hätte fünf Stunden mit ihr reden können, die Themen auseinandernehmen und nach unserem Willen ineinander überfließen lassen können. Acht Stunden. Den ganzen Tag und die ganze Nacht. Den Rest meines Lebens?
    Zwei Stunden lang haben wir miteinander telefoniert. Uns dann auf ein Wiedersehen verabschiedet. Dann auf ein baldiges, konkretes Wiedersehen. »Wann passt es dir denn?«, hat sie gefragt. Und gestaunt darüber, dass ich so vogelfrei bin. Immer Zeit habe. Ich gehe nicht mehr in die Schule, und meiner Mutter ist es egal, wann ich nach Hause komme. Ob ich nach Hause komme. Das Café Factory 17 ist mir dann als der perfekte Ort – für das perfekte Team natürlich – eingefallen, jemand hat mich dorthin einst – Anfang August vielleicht,
es war schon am Morgen schwül – auf einen Abschiedskaffee gegen Kater und Gewissensbisse ausgeführt. Ich habe vergessen, wer es war. Geblieben ist das Bild der braunen Ledersitze im Schaumlicht, das aus den Glasvasen überall im Café strömte, in denen Glühbirnen steckten. Als ob ein Handwerker sie dort vergessen hätte. Ich war damals beeindruckt von dieser beiläufigen Eleganz. Es hat mich viel Zeit gekostet, mir diese Eleganz beizubringen. Heute bin ich nicht mehr so naiv, so leicht zu beeindrucken, zu beeinflussen. Haben mich die letzten Monate übermäßig altern lassen? Die Zeit ist schnell vergangen, ich weiß nicht, was ich mit ihr angestellt habe. Tobias liegt weit zurück. Inzwischen hat sein Semester angefangen. Was er wohl gerade macht?
    Aber ich wollte ja nicht mehr an ihn denken. Das nimmt mich zu sehr mit. Er sollte mich ablenken, meine Gedanken überschreien. Warum sind sie durch ihn lauter geworden?
    Er sitzt jetzt in seiner Uni. Nein, es ist zu spät, es können keine Vorlesungen mehr stattfinden, am Abend wollen Studenten etwas anderes tun. Sie wollen das, was sie in ihren Ferien mit mir teilten: den Absturz.
    Ich will abstürzen. Brauche aber jemanden dazu. Irgendjemanden.
    Eigentlich habe ich gar nicht den ersten Schritt gemacht. Melanie hat mir in der Nacht mit Tobias ihre Handynummer zugesteckt. Sie wollte mich. Sie braucht mich. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann sie es getan hat. Es ist untergegangen in dem Strudel aus Trinkspielen und Bettlaken. Alles war wichtiger als sie. Armes Haarbandmädchen. Wieso habe ich sie so ignoriert, nicht einmal willentlich?
    Vielleicht, weil der Mensch Melanie so unauffällig war. Die Zahlen auf dem Notizzettel, den sie irgendwo in der Studentenbude aufgetrieben haben muss und den ich in meiner
Handtasche fand, als ich aus der grauen Zeit der Erinnerung an Tobias aufgetaucht war, erschienen wichtiger. Greifbarer. Bedeutender. Klarer. Ich war nüchtern. An Melanie konnte ich mich nur verschwommen erinnern. Sie war nach der Nacht mit Tobias unschärfer geworden. Aber die Zahlen waren immer noch da. Sie erzählten mir immerzu von jener Nacht. Zahlen sind unheimlich. Man dreht sie herum, mit schwitzigen Händen, wählt sie schließlich, löscht sie und wählt sie wieder, kontrolliert, ob sie sich auch nicht auf dem Weg vom Zettel über die Hand aufs Digitaldisplay des Telefons verändert haben, nimmt allen Mut zusammen und lässt zu, dass sie sich in eine Stimme verwandeln, in ein »Hallo?«. Dann war Melanie nicht mehr unwichtig. Ist es nicht. Wird es nicht mehr sein. Sie war wieder da, wieder in meinem Kopf. Jetzt will ich sie bei mir haben. Sie kontrollieren. Ich kann sie dazu bringen, das zu tun, was ich will. Das zu tun, was ich tue. Das zu wollen, was ich will.
    Sie ist tatsächlich gekommen. Die Stimme ist zu einer Person geworden.
    Gott sei Dank, sie sieht etwas verschüchtert aus. Das kahle Glühvasenlicht wirft silberne Sterne in ihr Haar. Ich gehe zu ihr und küsse die Luft neben ihren Wangen.
    Nach der Zeremonie setze ich mich neben sie, werfe meine Handtasche auf den Boden neben dem Mokkaleder und streiche die Falten meines Kleides auf meinen Oberschenkeln glatt.
    Unsere Konversation will nicht anfangen. Ich habe erwartet, sie würde etwas sagen, das mir das Gefühl gibt, unser Treffen hätte sich für mich gelohnt. Ich wäre irgendwo angekommen, wo ich bleiben will. Und sie will mir etwas sagen, aber bekommt es nicht über die Lippen, es steckt in
ihrer Kehle fest,

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