Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
Vater mich deshalb verlassen hat, mich und meine Mutter, weil wir nicht perfekt waren wie er, weil ich so ein verludertes Mädchen war – obwohl ich das damals doch noch gar nicht war. Erst danach kam Tobias, kamen die Clubs jedes Wochenende, erst jetzt die Abende jeden Abend. Erst jetzt. Aber ich will, dass er keinen Grund gehabt hat, wegzugehen, nicht mich, nur nicht mich. Ich will perfekt gewesen sein, muss es deshalb bleiben. Und ich habe Angst vor dem Mann neben mir, heute, hier, er ist zu viel, muss weg, muss weg, aber ich bin schuld, dass er da ist.
Ich wollte vor Melanie angeben mit ihm. Wollte ihr zeigen, dass ich jeden haben kann. Kann ich ja auch. Ich bin die Sonnengöttin, ich bin doch perfekt, ich bin doch Tag und Nacht und die blaue Stunde dazwischen. Ich kann sie alle haben.
Habe ich zu Melanie gesagt, zu meiner Süßen, die sich vorhin mit mir zum Vortrinken getroffen hatte, auf einer Parkbank mit einem Papierkarton Sangria von der nächsten Tankstelle gegen die Kälte. Der Himmel ist langsam dunkler geworden, und wir haben unser Haar im Abendwind wehen lassen, die Köpfe über die Lehne der Bank gelegt, Blick nach oben, Götter da, wir hier, ebenbürtig, alle so schön, und gelacht haben wir, weil sich die Bäume über uns schneller gedreht haben, je leerer der Karton wurde. Der saftsüße Würzwein hat sich in den Fältchen von Melanies Lippen festgesetzt, und ihre Augen waren so wirr wie ihre dunklen Haarsträhnen. Wir haben uns angeschaut, und ich habe mich gut gefühlt. Die Typen waren wohl auf einem Kurztrip in der Stadt, aber in irgendeiner Kaschemme hängen geblieben. Gegen die waren Melanie und ich noch nüchtern. Wir haben sie auf Englisch durch den Park lallen hören und mussten schon wieder lachen. Ein Ire, ein Brite und ein Australier, haben sie erklärt, als wir sie angesprochen haben. Das hat mir ausgereicht, ich habe den Karton mit einem ätzenden Rest Ablagerung in den Mülleimer neben der Parkbank geworfen und habe die drei Dichtlinge gefragt, wo sie denn jetzt hinwollten. Eigentlich ja zurück in eine Kleinstadt weiter draußen, wo sie bei einer Schuhfirma arbeiteten. Dann könnten sie uns ja bestens versorgen mit den neuesten Modellen, meinte Melanie und hängte sich bei dem Australier ein. Sie taumelte ein bisschen und musste ihre Brüste gegen seinen Bauch pressen, um nicht umzufallen. Sie war wirklich nicht besonders groß. Ich legte den anderen beiden meine Arme um die Hüften und sagte: »Aber das hat ja Zeit, ich weiß schon, wo wir jetzt hingehen können.«
Sie hatten alle drei einen anderen Akzent und eine eigene Ausstrahlung. Man wollte sie alle nacheinander kosten und
dann die Zähne in den Süßesten schlagen. Was der Australier durch seinen Lederjacken-schwarzes-T-Shirt-Jeans-und-Stiefel-Machismo gewann, konnte der Brite durch eine gewisse Aura von erwachsener Gelassenheit und Erhabenheit wettmachen. Der Ire hat mir gleich von Anfang an nicht so gut gefallen, er war ganz süß, der Kleinste von den dreien und irgendwie unschuldig, aber auch am besoffensten, Klischee, habe ich gedacht, aber vermutlich hat er einfach weniger vertragen als seine Freunde oder Arbeitskollegen, oder was auch immer sie waren. Auf dem Weg vom Park in die Innenstadt haben Melanie und ich uns erzählen lassen, dass die Typen noch nicht so lange bei dieser Schuhfirma arbeiteten, vier Monate, wenn ich mich recht erinnere, was ich aber gerade nicht so besonders gut kann. Sie waren alle drei wesentlich älter als wir, hatten in ihrer Heimat ihre Ausbildung gemacht, der Ire hatte schon die dreißig überschritten, ich weiß nur, dass ich ein bisschen erschrocken bin, habe mir aber sein genaues Alter nicht gemerkt. Sie wären wegen der Clubs hierhergekommen und wegen der schönen Mädels, wobei jeder von ihnen uns einen Kuss auf die Backe leckte, der Ire mir eher auf das Auge, er war echt verpeilt. Sobald wir auf einer der größeren Straßen angekommen waren, begann der Brite aufzudrehen, schrie: »Ick bin ein Berliner«, und sprach entgegenkommende Passanten an: »Could you tell me how to get to London from here?« Ich fand das sehr cool, Mel offenbar auch, wir hängten uns beide an ihn, um ihn davon abzuhalten, und kreischten, dass er doch den Scheiß lassen solle, aber eigentlich fanden wir es ja cool, wirklich cool. Der Australier legte dann seinen Arm um Melanie, und der Ire klammerte sich an mich, so gut er es eben noch konnte, und so sind wir als Kette durch die Straßen gegangen, und ich
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