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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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dass die Gespräche des Pärchens vor uns und der Gruppe Studentinnen hinter uns verstummt sind. Das Mädchen vor mir stößt ihren Freund leicht an, und er legt seinen Arm um ihre Schultern, und wer weiß, was für Geheimcodes
er ihr unter ihrer Fellkapuze in die Wirbelsäule klopft. Vielleicht haben sie es aber auch nicht gehört.
    Melanie sagt in normaler Lautstärke »Nein«. Dann umarmt sie mich und haucht mir kichernd ins Ohr: »Aber der Türsteher kennt mich, ich war hier schon einmal, mit dir, weißt du nicht mehr?« Ich weiß es nicht mehr. Wir müssen hier gewesen sein, nachdem ich schon zu betrunken war, um Details wie den Namen eines Clubs wahrzunehmen. Der Türsteher kennt uns. Ich hoffe, ich habe mich nicht zu sehr verändert. Wieder könnte ich mich schlagen dafür, dass ich mich nicht vernünftig angezogen und zurechtgemacht habe. Hoffentlich sieht der Kerl da am Eingang die Göttin in Schulmädchenverkleidung. Ich habe nicht genug Geld dabei, um ihn auszuzahlen.
    Ich beginne, mich zu entspannen. Melanies Arm um meine Taille, erinnern wir uns gegenseitig an vergangene Partystreifzüge. Ich versuche zu vergessen, dass ich heute Morgen, als ich mir ein Frühstück aus den Resten im Kühlschrank zusammenstellen wollte, zwei Gläser in der Spüle gefunden habe. Schmutzige Weingläser, die nicht ich gefüllt und geleert habe. Meine Mutter muss gestern Besuch gehabt haben, während ich Wahnvorstellungen von meinem Vater, ihrem Mann, hatte. Vermutlich eine Freundin. Möglicherweise hat sie sich bei ihr über ihre missratene Tochter beschwert, vielleicht hat doch einmal die Schule während der Arbeit angerufen und ihr gesagt, dass die liebe kleine Anita seit September nicht mehr anwesend war. Was, wenn es ein Lehrer war, der am Abend vorbeigekommen ist, um nach mir zu sehen, und sie hat ihn eingeladen, gleich dazubleiben? Beim Gedanken an sie und Herrn Bauer auf dem Sofa im Wohnzimmer könnte ich kotzen. Ich kriege das Bild nicht mehr aus meinem Kopf, wie er ihr erklärt, er habe sich schon so gefreut, mich in der
Schule zu sehen, aber ich sei weggelaufen, was denn passiert sei? Sie findet ihn freundlich. Er findet sie einsam. Sie holt den Wein, zwei Gläser, schenkt ein und trifft dabei auf den nackten, hungrigen Blick seiner Augen. Und bald ist nicht nur der Blick nackt, sondern sie und er und sie beide.
    Nein, es muss eine Freundin gewesen sein. Meine Mutter schläft nicht mit Herrn Bauer.
    »Was war eigentlich mit deinen Eltern?«, frage ich Melanie. »Solltest du nicht heute was mit denen machen?« Sie löst sich von mir. Das gelangweilte Pärchen vor uns horcht wieder auf, sie riechen wohl ein Familiendrama. Und Melanie will ihnen die komplette Show geben.
    Sie richtet sich zu ihrer vollen Größe auf und sagt mit dem Pathos einer sterbenden Julia: »Gottverdammte Eltern. Ich hab die so was von satt, Anita, echt, die sollen sich freuen, dass ich noch nicht abgehauen bin.« Ich weiß zwar nicht viel über Melanies Eltern, aber sie sind zwei und beide bei ihrer Tochter, das ist mir klar. Ich würde gerne sagen, dass Melanie doch froh sein kann, beide Eltern zu haben, damit sie mich dann fragen kann, wie das bei mir ist, aber bevor ich ansetzen kann, fährt sie fort: »Und sie sind echt selbst schuld, sie haben mir gesagt, ich soll doch mal Zeit mit Tobias verbringen. Es ist denen so scheißegal, dass Tobias ein alter Stoner ist und mich nur in irgendwelche Clubs geschleppt hat. Ich bin denen scheißegal.« Ich hoffe immer noch, dass sie mich fragt, einfach fragt, wie das bei mir ist. Aber sie tritt einen Schritt zurück, als solle die ganze Welt ihr bei ihrem großen Monolog zuhören.
    Sie steht plötzlich still neben mir, schaut mich nicht an. Fängt an zu reden. Was erzählt sie mir da?
    Tobias würde sie ankotzen, sagt sie. Und ihre Eltern sowieso. Ihr Vater, ein Unternehmensberater, ist kurz vor den
letzten Sommerferien befördert worden und hat daraufhin gleich mal den geplanten Urlaub der Familie nach Italien, wohin sie bisher jedes Jahr mit dem Auto gefahren waren, abgesagt. »Keine Zeit«, hat er zu seiner Tochter gesagt. Eine Woche später lag eine Visa-Karte auf ihrem Schreibtisch. Jugendkonto.
    »Dein Vater will, dass du deine Ferien genießen kannst«, hat ihre Mutter erklärt.
    »Und dabei ist es geblieben«, lacht Melanie jetzt trocken. »Keine Zeit, aber die Scheißkarte, jeden Monat neu gefüllt.« Als dann die Schule wieder angefangen hat, die siebte Klasse – als Melanie das sagt,

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