Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
Vom Netzwerk:
Sprüche, die die anderen mit Kugelschreiber an die Türen geschmiert haben, I love Andy und Ich hasse Herrn Bauer und Anni ist hässlich , bin ich das?, und ich traue mich nicht raus, weil dann die anderen lachen, und ich weiß nicht, wie ich aussehe, nicht mehr, vielleicht habe ich mich verändert, vielleicht habe ich mich getäuscht, wenn ich dachte, ich wäre schön. Ich muss nachsehen.
    Deshalb drehe ich mich um. Um mich zu prüfen. Ein Spiegel durchbricht mit fotografischer Klarheit den Nebel einer
langen Nacht. Ich bin herausgerissen aus meiner selbstzufriedenen Vergesslichkeit, um in eine selbstbesessene Wirklichkeit zu fallen. Es sind meine Augen, die mich erschrecken. Sie leuchten. Sie sind erstaunlich türkis, wenn sie den grünen Eyeliner reflektieren, und auch den grün-violetten Kontrast des paisleygemusterten Chiffonoberteils. Nicht, dass ich diese Stücke jemals besessen hätte.
    Jetzt ruft meine Mutter und klopft an die Badtür.
    Ich habe Angst.
    Entdeckt zu werden.
    Ich bin doch nackt.
    Nun wache ich wirklich auf. Nicht in einer Dusche, sondern in meinem Bett. Das ist auch nicht besser. Die Daunendecke ist durchgeschwitzt, außerdem habe ich gestern Abend, nein, heute Morgen, vergessen, das Fenster aufzumachen, die Ausdünstungen meiner kurzen Nacht schlagen mir ins Gesicht. Mir ist übel. Und ich muss hier raus, o Gott, schnell, mir ist ja so schlecht, ich muss, ich muss, schnell, o Gott, wie ich das hier hasse.
    Ich hasse mich noch ein bisschen weiter, während ich meine Stirn am Toilettenrand kühle, einzelne Schweißtröpfchen hängen an meinen Schläfen, alles ist so wirr.
    Ich gehe zurück in mein Zimmer und lege mich auf mein Bett, das T-Shirt hochgezogen, damit meine Poren wieder frei atmen können, und versuche zu ignorieren, dass meine Mutter jeden Moment hereinkommen und mich hier so unzweideutig verkatert liegen sehen könnte, in einem nach Bierorgie stinkenden Raum. O Gott.
    Halt. Draußen ist es schon sehr hell, beißend grell, falls ich es später schaffe, sollte ich das Rollo herunterlassen, also ist das Arbeitsbienchen schon weg, denkt wahrscheinlich, ich
habe heute keine Schule oder später, irgendetwas, das ihr den Glauben an ihr kleines, braves Mädchen nicht nimmt, es ist so einfach, sich eine eigene Welt zu basteln und einfach nie Fragen zu stellen. Niemals irgendwelche Fragen zu stellen.
    Ich kann gar nicht mehr denken. Meine graue Masse ist verklebt.
    Scheiße.
    Was war gestern schon wieder los?
    Melanie muss es wissen. Sie war bestimmt dabei, ohne Melanie mache ich ja gar nichts mehr. Mein Mädchen Melanie. Melanie, Melanie, Melanie.
    Schlecht. Mir ist verdammt schlecht.
    Mama.
    Melanie!
    Wo bist du?
    Kaffeelikör.
    Richtig. Ziemlich ätzend.
    Und doch eine Flasche getrunken? Hm, vermutlich. Und dann?
    Alles weg, keine Ahnung mehr.
    Von Jonas geredet? Haha, lol.
    Oh, niemand Wichtiges, nur ein Freund.
    Ja, ein Freund.
    Und dann?
    Umgekippt? Echt? Scheiße. Sorry.
    Wie sind wir dann nach Hause?
    Im Taxi, ach so.
    Danke, dass du mich raufgebracht hast! Und meine Mutter?
    Geschlafen? Gott, bin ich froh!
    Und du? Wie geht es dir heute?

    Cool, so geht’s mir auch. Kenn ich, kenn ich …
    Sehen wir uns später?
    Mit deiner Familie? Haha, Pech gehabt! Aber morgen wieder, oder?
    Gut, dann c u. Hab dich lieb, Melanie.
    Ich verschicke die letzte SMS. Meine Hand ist zu schwer, sie fällt mitsamt dem Handy von meinem Bauch auf den Boden. Der ist so kühl. Wie kann man heute kühl sein? Ich rolle mich hinunter, spüre das Parkett mit jeder Zelle. Das dämliche klebrige T-Shirt ziehe ich jetzt ganz aus. Während meine Wirbelsäule hohl auf der merkwürdig klammen Fläche liegt, recken sich meine Brüste, atmen frische Luft, lassen sich umkitzeln vom Luftzug. Sie tun ein klein wenig weh. Ob sie wohl gewachsen sind? Sie sehen größer aus. Sie sind so geleeartig. Wabbeln vor sich hin.
    Scheiße, mir ist heiß. Und schlecht.
    Die Herbstferien sind tatsächlich so verlaufen, wie ich das mit Melanie geplant hatte. Jeden Abend Party. Dauerdicht. Fast bin ich froh, wenn sie am Montag wieder in die Schule muss. Klingt fies. Ist es wahrscheinlich auch. Aber ich brauche mal wieder etwas klarere Morgen. Morgen, an denen mir die Haut nicht zu eng ist, an denen ich mir keine Sorgen machen muss, dass ich platze und die ganze Fäulnis aus mir heraus durch die Wohnung geschleudert wird.
    Ich bin eine dreckige, kleine Bombe. Vollgestopft mit alten Nächten, bleiernen Erinnerungen, Lichtblitzen, die von

Weitere Kostenlose Bücher