Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
die sie sich gehüllt hat wie in einen Pelzmantel, echter Pelz, scheiß auf keifende ungewaschene Tierschützerinnen. So sieht sie aus, Melanie, als ob sie nur Verachtung hätte für den Rest der Menschheit, die weder sie noch ihre Jugend, ihre Schönheit, nicht einmal ihre maßlose Arroganz verdient hat. Wie soll ich diesem Geschöpf, diesem goldenen Eisblock, sagen, wer ich wirklich bin? Dabei hatte ich mich heute Abend nur mit ihr verabredet, um ihr zu sagen, dass mein Vater mich verlassen hat. Ich wollte den letzten Schritt zu ihr wagen, sie an mich binden durch ein Geständnis oder vielleicht die Frage, ob ich ihrer Meinung nach schuld bin daran, dass mein Vater abgehauen ist. Ich dachte, wenn sie das weiß, dann kann sie mir irgendwie helfen, mir eine bessere Freundin sein, mich nie wieder im Stich lassen so wie gestern. Wir könnten aufhören mit dem Weggehen und den Jungs und den Drinks. Wir könnten tun, was Freundinnen eben so tun, beieinander übernachten oder ins Kino oder so. Neben ihr könnte ich aufhören mit diesem Leben. Aber nicht, wenn sie so aussieht. Ich habe
einen Fehler gemacht. Ich habe mich nicht gestylt. Ich habe immer noch die gleichen Jeans an, in die ich heute Morgen geschlüpft bin, habe mich kaum geschminkt, lustlos ein bisschen Make-up und Mascara, die Haare lose in einem unordentlichen Knoten an meinem Hinterkopf. Ich war zu müde den ganzen Tag über. Etwas krank vielleicht. Bin zu spät aus dem Haus, um noch etwas zu verbessern, zu verschönern, perfekt zu machen an mir. Ich dachte, es wäre egal. Aber jetzt merke ich, ich komme nicht gegen Melanie an. Das macht mich rasend. Man soll sehen, dass ich hier die Königin bin, die Herrscherin, der der Morgenstern folgt, man soll mir Platz machen und einen Hintergrund bilden für die Geständnisszene, die ich mir vorgestellt habe. Ich bin die Leading Lady, verstanden? Und hier steht Melanie im Kreis der Scheinwerfer. Ich bin auf der dunklen Seite der Schlange derer, die auf Einlass warten, direkt über Melanies Kopf blinkt der Name des Clubs, »Angel’s«. Als ob sie das wäre. Vielleicht ist sie es. Ich muss darauf vertrauen, irgendjemandem muss ich endlich sagen, warum ich in den Clubs bin und nicht zu Hause, warum ich nicht in die Schule gehe, warum ich überhaupt so lebe, wie ich es tue. Ich dürfte eigentlich keine Göttin sein. Warum bin ich nicht der Teufel? Das will ich sein, wenn Melanie ein Engel ist, dann bin ich die Göttin der Unterwelt. Bevor ich die Jungs und Mädchen, die zwischen mir und Melanie stehen und Jägermeister aus ihren mitgebrachten Flachmännern trinken, bitte, mich durchzulassen zu meiner Freundin, ziehe ich mir den Haargummi aus dem Haar und setze mir meine Krone wieder auf. Soll Melanie glühen. Ich bin immer noch der hellste Stern am Himmel.
»Hi, Anita!«, kreischt Melanie, so dass es alle um uns herum hören und sich umdrehen. Wir umarmen uns, und ich sehe,
dass den anderen Partygängern ein Seufzer entweicht, als meine Locken um ihren Schwanenhals fallen, die Augen aller Anwesenden folgen dieser Bewegung, vergessen, dass am Anfang der Schlange jemand von dem schwarz gekleideten Türsteher hineingelassen wurde, und rutschen nicht nach, bis ihnen jemand den Finger in den Rücken bohrt und sie weiterschiebt. Ich küsse Melanies gepuderte Wange und rieche ihr Parfüm, und mir wird wieder klar, wie gut es tut, zu zweit so unschlagbar zu sein. Ich bin froh, dass wir heute ohne Typen da sind, besonders ohne die von gestern. »Bist du eigentlich noch bei den Engländern geblieben, bei denen, die wir kennengelernt hatten?«, frage ich Melanie und hoffe, dass ich nichts Wichtiges verpasst habe. Warum bin ich nur nach Hause?
»Ach, Liebling, ich hab so viele Männer kennengelernt, ich weiß echt nicht mehr, welche du meinst.« Das hätte ich auch gesagt, früher, vorgestern noch. Normalerweise waren es doch nur gesichtslose Bewunderer, Beute, Fressen, seit wann sind sie mir so nahe gekommen? Zu nahe. Das darf nicht wieder vorkommen. Ich kontrolliere, wo die Finger meiner Jungs sind. Ich bringe sie zum Schreien, zum Weinen, zum Stöhnen. Mit einem Nicken meines Kopfes, einem Schnippen meines Fingers kann ich bestimmen, was passiert. Ich kann sie auf Abstand halten. Leider haben wir heute niemanden, der uns den Eintritt zahlt. Oder der wirklich alt genug ist, um in den Club zu dürfen.
»Sag mal, Mel, hast du ’nen falschen Perso dabei?«, wispere ich Melanie zu. Sobald ich meine Stimme gesenkt habe, meine ich,
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