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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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tanzenden Händen geteilt werden. Nasser Boden, der näher kommt. Alkoholgestank direkt an der, in der Nase. Poren weggeätzt. Ich war nicht bewusstlos. Ich kann mich wieder erinnern. An gestern. Will aber nicht. Man weiß nie, was man da alles verdrängt hat, in den Sumpf gestoßen hat. Ich will
die Moorleichen nicht auferstehen sehen. Die liegen da ganz gut, da ganz hinten im letzten Winkel meines Gehirns. Und doch kann ich die Erinnerungen nicht aufhalten. Wenn sie kommen, dann kommen sie glasklar. Wie um sich zu rächen für ihre lange Verbannung. Sie schreien: Du bist schuld. Du bist schuld, dass dein Vater fort ist.
    Er wusste, dass es in mir steckt. Dass ich eines Tages auf dem Boden eines heruntergekommenen Clubs enden würde. Er hatte keine Angst davor. Er hat es einfach nur in mir gesehen und es gewusst, nicht akzeptiert oder hingenommen, sondern mich im Voraus dafür verurteilt. Urteilsspruch: Er ging.
    In meiner Klasse haben wir alle schon ziemlich früh mit dem Saufen angefangen. Einer hat von seinen älteren Geschwistern gelernt, dass das eben dazugehört zum Teenagersein. Wer es nicht tut, ist kein Teenager. Ein Feigling. Ein Baby. Den würde man nicht in der Clique haben wollen. Cliquen sind sehr wichtig. Sie geben einem Halt, wenn alles zerfällt. Dachte ich. Und bin zu allen Partys gegangen, die ich für sozial verpflichtend hielt. Auf die in der Unterstufe, auf denen Flaschendrehen gespielt wurde und man hochpeinliche Schieber tanzte. Auf die, bei denen die Kinder vor allen Freunden ihre Pubertät mit einem ersten feuchten Zungenkuss in den nicht so dunklen Ecken eines Partykellers empfingen. Diese Partys hat man noch in Tagebüchern beschrieben. Dann kamen die, die man nicht aufgeschrieben hat. Die mit Alkohol. Vor denen man Angst hatte. Auf die man trotzdem gegangen ist. Die eskaliert sind. Die in Löchern endeten. An den Morgen danach saß man plötzlich nicht mehr am Frühstückstisch bei den Eltern, um zwischen Marmeladebrot und Milch von den Erlebnissen des letzten Abends zu erzählen. Stattdessen hing man am Telefon. Mit Jonas. Und
lästerte. Und hatte Kopfweh von billigen Alcopops. Und wollte selbst nicht mehr hören, was man eigentlich getrieben hat. Ging es trotzdem durch. Hechelte das Wer-mit-wem durch. Sagte immer wieder: »Das weiß ich gar nicht mehr! Ich war ja so dicht, Alter!« Auch wenn man es nicht war. Auch wenn man es nicht wahrhaben wollte. Man sagte es. Für Jonas. Weil man dachte, nur er würde es hören. Weil man nicht wusste, was man verlieren kann.
    Nein, ich muss mich nicht erinnern.
    Mein Vater hat die Geduld verloren. Die Zurückhaltung gegenüber seiner Tochter. Er hat sich gewundert, warum ich mich auf einmal der familiären Küchentischdreisamkeit entzogen habe, morgens gar nicht erst aufgestanden bin. Vielleicht hat er sich auch Sorgen gemacht. Oder er war einfach sauer auf mich. Er konnte Faulheit nicht ertragen, fast so wenig wie Unordnung. Man hat morgens aufzustehen, gewaschen und angezogen am Frühstückstisch zu sitzen. Meine Mutter und ich waren für meinen Vater auch nichts anderes als seine Magazine: Wir durften nicht verknickt sein, nicht schmutzig und vor allem nicht am falschen Ort. Mein Zimmer war am Morgen der falsche Ort. Noch dazu im Bett, mit dem Telefon am Ohr auf dem Rücken liegend, der Boden mit verschwitzten Klamotten und den Resten einer mitternächtlichen Afterpartymahlzeit übersät. Es war einfach … unmoralisch. So ging das nicht. Da ging lieber er.
    Ich muss das jetzt nicht denken!
    »So geht das nicht!«, schrie mein Vater Jonas an, dass der von seinem Bett fiel, wie er mir später erzählte. Ich fiel nicht
von meinem Bett. Blieb seltsam verschreckt sitzen. Hatte er die Alkoholstorys gehört? Was würde er jetzt tun?
    Nichts. Er tat nichts. Ging.
    Ich muss nicht!
    An diesem Tag konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich blieb auf meinem Bett sitzen, obwohl ich furchtbaren Durst hatte. Ich lauschte auf Schritte. Aber der Durst blieb meine einzige Strafe. Dachte ich. Das war vor fast einem Jahr. Vielleicht habe ich Glück gehabt, dachte ich damals. Vielleicht hat mein Vater das echt nicht gecheckt. Vielleicht hat er sich gar nicht mit meiner Mutter darüber beraten, was nun mit mir anzufangen sei, vielleicht wissen sie nichts davon, dass ich auf der Party getrunken habe. Vielleicht kann ich einfach so weiterleben wie bisher.
    Ich wusste nicht, dass ich schuld war. Daran, dass mein Vater mich verlassen würde.
    Aber das weiß ich ja immer

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