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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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noch nicht.
    Aber was soll sonst der Grund sein?
    Ich war nicht gut genug. Nicht perfekt genug. Verknickt.
    Er hat mich weggeworfen wie eine Zeitschrift, die seinem Niveau nicht entspricht.
    Warum ist mein Vater gegangen an jenem verregneten Tag? Wegen mir. Ich bin schuld.
    Warum?
    Stopp!
    Ich habe keine Antwort gefunden. Ich habe schon wieder keine Antwort gefunden. Ich bin so verdammt dumm. Kein Wunder, dass er mich nicht mehr wollte. Dummes, versoffenes Mädchen.

    Es ist heiß. Die ganzen Ferien über war es heiß, Melanie und ich hatten uns darüber gefreut. Jetzt ist es zu heiß.
    Vielleicht Hitzewallungen?
    Vielleicht kriege ich heute meine Periode? Die letzte liegt schon lange zurück. Zu lange, wenn ich jetzt so daran denke. Eigentlich will ich nicht. Mir ist sowieso schon schlecht. Der Gedanke an dickflüssiges Blut ist heute wie eine neue Ladung Kaffeelikör: warm und widerlich.
    Lieber an etwas anderes denken. An etwas Sauberes. An durchsichtiges Quellwasser.
    Vor Tobias hatte ich meine Tage gehabt. Da bin ich mir sicher.
    Kleine Kieselsteine rollen in der Strömung und zeigen glitzernd ihre farbigen Nuancen: rot und beige und golden.
    Das ist jetzt drei Monate her.
    Sie rollen sachte weiter.
    Tobias und ich haben nicht verhütet!
    Der Gedanke ist wie der Sturz auf die Flaschenscherbe, diesmal dringt sie nicht in meinen Schenkel ein, sondern direkt ins Gehirn. Meine Schläfen beginnen zu pochen, ein rhythmisches Hämmern durch meinen ganzen Schädel, die Adern wollen bersten, die Gehirnmasse explodiert zu braunem Brei. Ich kotze.
    Tobias und ich haben nicht verhütet. Ich war zu besoffen, um mir Gedanken darüber zu machen. Ich bin mir sicher, dass er kein Kondom dabeihatte. Und wir waren in der Wohnung
eines Freundes. Woher hätten wir auch wissen sollen, wo der die Kondome aufbewahrt? Es war ja ziemlich chaotisch dort. Und auch Tobias hatte getrunken und nicht nur ein bisschen.
    Ich bin schwanger.
    Ich bin eine schwangere Schulabbrecherin.
    Kein Wunder, dass mein Vater mich nicht haben wollte. Ich bin doch das Allerletzte. Ich bin so verdammt dumm und ekelhaft. Ich widere mich an.
    Ich stehe neben mir und sehe mich in all meiner Erbärmlichkeit. Ich liege neben meinem Bett, die Decke habe ich halb mitgezogen, aus ihrer Hülle heraus, das Leinen liegt zusammengeknüllt und zerknittert am Fußende der Matratze. Perplex starren meine Augen an die Zimmerdecke, der Körper liegt schweißnass auf dem Fußboden. Ich habe mich gestern oder heute Morgen nicht abgeschminkt, die Mascara ist unter dem Wimpernkranz zu einem schwarzen Strich verschmiert. Ich hebe eine Hand an meinen Mund und spüre, wie über meine Lippen ein Strom von bittersüßlicher Masse aus Flüssigkeit und halbverdauten Essensbrocken fließt. Über meine nackten, großen Brüste rinnt alter Alkohol. Braun. Braun und warm. Ich würge und würge und weine.
    Ich bin schwanger.
    Bitte, weckt mich auf, bitte, wach auf, bitte, bitte, bitte.

11
DRECK AM STECKEN
    »Schau sie dir doch an.«
    Ich fahre durch eine graue Stadt, heute mehr Kulisse meiner Selbstinszenierung denn je, Grau in Grau, ein Aquarell, als ob die Szene mit Weichzeichner gefilmt worden wäre. Vor diesem Hintergrund treten die Figuren noch krasser hervor, scharf und eckig. Diese hier sind das, was man üblicherweise nette alte Damen nennt, um zu verdrängen, dass heute ein normaler Arbeitstag ist, nicht Feiertag, und die jungen Leute alle in ihren kleinen Bürogebäuden verstaut sind, fein säuberlich gestapelt wie Hemden. Nur diese zwei Rentnerinnen sind herausgefallen aus diesem Schrank der Gesellschaft, haben mit dem Privileg der Rente das Vorrecht der Beschäftigung verloren und stützen sich nun gegenseitig in ihrem Alltag. Ich bin ein gefundenes Fressen, das rote Tuch vor ihren Augen. Viel Wut hat sich aufgestaut, die letzten Wochen waren schwül und anstrengend, man muss sie wohl eingesperrt haben, in Altbauapartments, mit Tee und Kuchen und drei Dutzend angefangenen Stickdeckchen, an den Wänden die Gesichter der Enkel. Und jetzt sind sie ausgebrochen, haben ihre Stiefelchen geschnürt und wollen noch einmal auf den Putz hauen, pöbeln, wie nicht einmal die stärksten Halbstarken in den dunklen Gassen ihres Reviers es sich trauen. Ich habe mich natürlich auch mal wieder dumm
angestellt. Ich bin in diesen Bus eingestiegen, und ich hätte mich genauso gut in den hinteren Teil setzen können, dort, wo sich Alte-Damen-Mägen bei jeder Kurve umdrehen. Aber nein. Ich dachte, ich

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