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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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müssen. Die hat sich schon beschwert, dass gestern nichts lief. Weil ich ihr an dem Morgen, an dem letzten Morgen, an dem ich ohne den Gedanken an meine Schwangerschaft aufgewacht bin, versprochen hatte, mich mit ihr zu treffen, mich dann aber nicht mehr gemeldet habe. Ich hatte ja zu tun. Dieser eine melaniefreie Tag hat mir etwas gezeigt: Ich bin eigentlich ganz gerne allein. Ich habe keine Angst mehr davor. Ich bin nie wieder ganz allein. Sie ist mit dabei, die in mir.
    Und jetzt also auch meine Mutter. Wir haben heute gemeinsam gefrühstückt, ich habe die Teller auf den Tisch gestellt, sie hat die Brotscheiben daraufgelegt. Wir haben geredet. Baby hat zugehört. Wie eine richtige Familie. Wieder eine richtige Familie.
    Zuerst sprechen wir nur über das Essen. »Könnte ich noch Brot haben?«, »Gibst du mir bitte die Marmelade?« oder »Danke für den Kaffee!«. Ich lobe den Kaffee, nicht nur, weil ich ihn loben will, sondern auch, weil ich es so meine: Er wärmt. Ich werde warm. Meine Mutter sagt, sie könne sehen, dass mir warm ist, meine Wangen seien rot. »Hübsch!«, sagt sie. Wir lächeln. »Ferien sind schon etwas Schönes, was, Anni?«, fährt sie fort, »ich glaube, die haben wir uns reichlich verdient. Hast du nicht noch vor den Ferien eine Schulaufgabe in Geschichte geschrieben, bei dem Herrn Miller?«
Auf diese Frage kann ich nicht antworten, ich weiß gar nicht mehr, ob diese Lüge von mir oder aus ihrem eigenen Gehirn stammt.
    »Wie läuft denn die Arbeit bei dir so, Mama?«, frage ich. Wir sind so höflich heute. Es ist angenehm. Während sie ein paar Geschichten aus dem Büro erzählt, über ihren unmöglichen Chef und die schlimmen Kolleginnen, die dicke Ulla und Tanja, die sich für etwas Besseres hält, entspanne ich mich immer mehr. Ich beginne, laut zu lachen, und schmiere mir ein neues Brot dick mit Marmelade, und Mama lacht, als ein Teil davon in meinem Ausschnitt landet. Sie darf, es macht mir nichts aus, sie selbst ist noch nicht angezogen, sondern in einem alten, ausgebeulten Nachthemd, das nach ihr riecht, stark und ausschließlich nach ihr. Sie hat sich verändert, ist nicht mehr so zackig wie an den Tagen, an denen wir uns begegnet sind, sie gerade nach Hause gekommen und ich geistig auf einem Planeten, auf dem es statt ihr Alkohol, Zigaretten und Jungs gab. Aber gleichzeitig weiß ich ja, dass sie wieder diese Person sein wird, wenn die Ferien für sie vorbei sind, im Büro muss sie zackig, korrekt, hart sein, und kann es dann auch hier vor mir nicht ablegen. Jetzt sehe ich meine Feiertagsmutter. Aber das ist eben nur ein Teil von ihr. Das ist in Ordnung. Ich habe mich daran gewöhnt. Am Frühstückstisch haben wir uns nach und nach in Gesprächen verloren, haben miteinander geplaudert, nicht um etwas zu sagen, sondern um den anderen wissen zu lassen: Es ist schön so, so kann es funktionieren. So verliert keiner. Keine Vorwürfe, keine stummen Anschuldigungen, sondern leere Friedensgespräche. Dann haben wir geschwiegen. Und sie hat mich angesehen, und ich konnte in sie hineinblicken, in ihre Augen und in ihr Herz. Sie leidet genauso wie ich. Sie ist nicht stärker. Meine arme Mutter hat dieses Jahr ihren
Mann verloren. Und sie weiß auch nicht, warum. Das habe ich erst da erkannt. Konnte dann nicht mehr sitzen bleiben, habe gefragt, ob ich gehen kann. Ohne ihr zu helfen, den Tisch abzuräumen oder das Geschirr in die Spülmaschine zu stellen. Ohne das Frühstück abzurunden. Ohne Erklärungen. Ohne Geständnisse. Sie hat genickt und verstanden, dass mehr Gefühl zu viel gewesen wäre für uns bei einem einzigen Essen. Wir brauchen noch etwas Zeit. Aber irgendwann. Irgendwann wird es wieder normal sein.
    Jetzt sitze ich am Fenster und sehe den Herbst enden. Meine Mutter hat sich wieder aufgelöst, hat ausnahmsweise einen süßen Nachgeschmack hinterlassen, Milchkaffee und Pfirsichmarmelade, ich habe keinen Drang, ihn wegzusaufen. Ich fühle mich weich und warm, die Heizungsluft wärmt mir die Beine und lässt ein Haar silbern vor meinen Augen tanzen. Mein Rücken lehnt an der kalten Scheibe, mein Rückgrat ist gedreht, so dass ich direkt hinaus und hinunter in den tiefen Straßengraben schauen kann. Hin und wieder regnet es leicht, Tropfen bewegen die Pfützen, die sich gestern in den Schlaglöchern, den abgenutzten Stellen im Teer gebildet haben, schlammfarben, bis auf die spiegelnden Stellen, aus denen das steingraue Antlitz des Himmels mir sanft zublinzelt. Am

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