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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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gegenüberliegenden Wohnhaus hat jemand sein Fahrrad an das Gitter vor dem Kellerfenster gekettet, der Sattel ist in Plastik gewickelt, auf dem die Tropfen hörbar knistern müssen. Die seltenen Passanten weichen der Regenmelodie und dem in den Bürgersteig ragenden Lenker aus, die Hände in die Jackentaschen gestopft und die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Der Wind weht heute Morgen nicht zu stark, der Regen fällt fast senkrecht, und die Gestalten müssen sich nicht vorankämpfen. Heute ist alles so einfach.
    Die Tauben sind weg. Wo sie sich wohl verstecken? Sie fliegen doch im Winter nicht in den Süden, oder? Der Ausblick aus meinem Fenster ist ruhiger ohne ihr Gegurre, ohne das Kratzen ihrer Krallen auf dem Fensterbrett, ohne ihr aufgeregtes Flügelschlagen. Die Welt steht still.
    Die nassen Dächer sind Augen, in deren Glanz die Wolkendecke reflektiert wird. Aus einem Schornstein weit weg steigt weißer Rauch. Ein Kamin wäre jetzt schön. Flackernde Flammen hinter kleinen goldenen Kettengittern. Ein bunter Teppich davor. Sich wie eine Katze darauf einrollen. Aber es geht auch so. Es ist eine schöne Welt, in die meine Tochter hineingeboren wird. Ich kann stolz darauf sein.
    Meine Mutter würde es verstehen. Heute kann ich es ihr noch nicht sagen. Aber der richtige Zeitpunkt wird kommen. Bald? Ich weiß es nicht. Sobald ich weiß, was ich sagen soll.
    Wenn ich es nur nicht allein machen müsste. Ob wohl Tobias …
    Nein, es ist mein Kind, nur mein Kind. Meine Mutter weiß, dass man zwei Menschen braucht, um einen dritten zu kreieren. Seit diesem Sommer weiß sie auch, dass eigentlich nur noch eine Person nötig ist, um das einmal Kreierte zu beschützen, zu erziehen, weiterleben zu lassen. Besser ist. Allein kann man nicht verlassen werden. Aber ich will nicht wie meine Mutter werden. Nur das nicht. Ich mag sie. Aber ich möchte nicht sein wie sie. Davor habe ich Angst. Aber sie wird mir helfen. Wenn ich mich nur traue, sie anzusprechen. Wenn sie nur jetzt nicht reinkommt, den Test sieht.
    Wie soll ich den Urinbecher loswerden? Ich weiß nicht genau, wo meine Mutter gerade ist, vielleicht noch in der Küche, vielleicht kommt sie auch genau in diesem Moment den Flur herunter, es ist nicht sicher, das Zimmer zu verlassen. Deshalb öffne ich das Fenster, rieche die Luftfeuchtigkeit,
lasse sie meine Lunge kühlen und gieße den Becher an der Seite des Fensterbretts aus. In einem kleinen Schwapp. Niemand hat es gesehen. Ich hatte keine andere Wahl. Ich schäme mich. Schon in Ordnung. Das wäre erledigt. Den leeren Becher stelle ich unter mein Bett, zu den leeren und teils zerbrochenen Wodkaflaschen. Friedhof eines Jahres. Nicht einmal eines Jahres. In nur wenigen Monaten habe ich all diese glasgewordene Scham angesammelt. Wie habe ich nur gelebt?
    Wohin mit dem Test? Ihn kann ich doch nicht genauso hinauswerfen, was, wenn er gegen das Fenster der Mietwohnung unter uns schlägt, durch den Regen von seiner geraden Fallbahn abgetrieben? Was, wenn mein Kind mich einmal fragt, wann ich denn wusste, dass es in mir war? Kann ich dann sagen, dass ich das erste Lebenszeichen weggeworfen habe wie einen Kaugummi, achtlos, lieblos? In meinem Regal steht noch ein altes Tagebuch, ein Weihnachtsgeschenk von einer »besten Freundin«, damals, als man so viele »beste Freundinnen« hatte und es so wichtig war, sie alle zu beschenken. Es ist in rosa Fellimitat gewickelt, streichelweich, doch wenn man es streichelt, werden die Härchen elektrisch aufgeladen, stehen statisch ab und versetzen dem, der sie anfasst, einen schmerzhaften Schlag. Deshalb habe ich es nie gestreichelt. Habe ein, zwei Male Dinge wie »J. — süß wie immer« oder »Großer Streit mit M. und V.« hineingekritzelt. Ich nehme es aus dem Regal, hole eine vergessene Kinokarte aus dem Umschlag und stecke stattdessen den Test hinein. Da bist du sicher, Baby. Du musst dich nicht fürchten. Ich lege das Flauschbüchlein so auf das Regal, dass ich es auch vom Bett aus sehen kann. Das Kinoticket rolle ich zwischen Daumen und Zeigefinger zu einem kleinen Röhrchen ein, wie zum Koksen, während ich zurück ans Fenster gehe. Verlorene
Zeit. Verlorene Erlebnisse. Als ich noch einfach so mit Freunden ins Kino gegangen bin. Nein, auch nicht einfach so. Ich will das nicht verklären. Es gibt Gründe, warum ich nicht mehr in die Schule gehe. Um nach dem Unterricht nicht alleine nach Hause zu müssen, weil man ein falsches Wort gesagt hat. Am Abend nicht jemanden anrufen

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