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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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gekritzelt hätte wie einen Zauberspruch. Aber sie hat keine Magie. Sie kann mich nicht retten, auf einem weißen Pferd oder einem smaragdgrünen Drachen plötzlich vor dem Fenster auftauchen. Es ist nicht mehr einfach. Das war auch nur so ein Gedanke. Ich werde weiterkämpfen müssen.

    Draußen kämpft niemand. Der Tag geht schnell vorbei, ich habe kein Gefühl für die Uhrzeit. Alle Menschen sind in ihren Büros und scheffeln Geld. Ich hindere meine Mutter daran. Und verbringe dann nicht einmal Zeit mit ihr. Wir könnten Tee trinken. Oder fernsehen. Was macht sie bloß? Ich habe nichts gehört. Sie wird doch nicht immer noch in der Küche sitzen? Aber das ist ihre Entscheidung. Ich muss sie auch nicht beschäftigen. Sie ist erwachsen. Oder? Wer ist schon wirklich erwachsen? Ein dummer Ausdruck. Aha! Sie telefoniert. Eine Tür geht auf, sie kommt aus einem Zimmer, und ich kann sie reden hören. Aber wohin geht sie mit dem Hörer? Doch nicht zu mir? Ich rutsche, springe von meinem Sitz am Fenster, die Ruhe, die dieser Platz mir nach dem Frühstück gegeben hat, ist weg, und draußen braust und saust es, schwarzer Wind und weißer Hagel. Es wird kalt, und bald schon ist es Winter. Mit wem spricht meine Mutter? Ein Gedanke kommt plötzlich ins Rollen: Kann es denn die Apothekerin sein? Nein, Anita, natürlich nicht, die Apothekerin weiß nicht, dass du keine ihrer Nummern gewählt hast, dass der Zettel in einem Tagebuch steckt, bei den vergessenen Sätzen, sie weiß nicht, wie du dich fühlst, und sie kennt deine Telefonnummer nicht. Nein, sie kann dich nicht erreichen. Das könntest nur du.
    Warum kann ich sie nicht einfach anrufen? Vielleicht mache ich es mir selbst zu schwer.
    Nicht der richtige Augenblick, die Schritte meiner Mutter bestätigen, dass sie zu mir kommt, der Anruf muss für mich sein, bloß: Wer ist das? Jonas? Tobias? Papa?
    »Anita?« Meine Mutter steckt ihren Kopf durch den Türspalt. »Eine Melanie für dich.« Sie schiebt ihre linke Schulter in mein Zimmer und streckt mir den Hörer entgegen. Ich weiche zurück. Melanie? Nein, ich will nicht mit ihr reden,
mich nicht mit ihr treffen müssen, der Tag hat so gut angefangen, er soll nicht damit enden, dass ich besoffen nach Hause komme. Außerdem bin ich schwanger. Das heißt: kein Alkohol. Ich wedele wild die Arme vor meinem Gesicht hin und her, schüttele den Kopf, dass die ungekämmten Haare nur so fliegen und mir in die Augen peitschen. Ich will nicht, schreit mein Körper stumm. Meine Mutter versteht es, tritt aber vollständig ins Zimmer, zieht eine Augenbraue hoch – das kenne ich von mir – und sagt in das Telefon: »Tut mir leid, Melanie, ich habe mich geirrt. Anita schläft noch. Soll ich ihr etwas ausrichten?«
    Ich falle ihr fast um den Hals, als sie aufgelegt hat. Erkläre wirr, das sei eine Neue in der Klasse und es hätte Streit gegeben, an dem ich nicht schuld sei, ich wäre nur dazwischengeraten und wolle in den Ferien nichts damit zu tun haben müssen. Meine Mutter stoppt mich mit zwei erhobenen Händen. Sie will es gar nicht wissen. Ich glaube, sie ist froh, dass sie den Anruf hat, als Beweis dafür, dass ich ein ganz normales Leben führe. Dass ich Freundinnen habe, die sich streiten und mich anrufen. Dass ich nicht gestört bin, weil sie als Mutter versagt hat. Sie geht wieder.
    Ich habe sie lieb. Sie ist eine gute Mutter. Und jeder Mensch versagt manchmal. Das ist in Ordnung. Ich glaube, sie wird eine gute Großmutter werden.
    Baby glaubt es auch. Ich höre dem Bauchwesen zu, spiele, dass ich ein Gurgeln hören könnte, wo keines ist, ein Stimmchen, das sagt: »Wir werden eine echte Familie sein, Mama.«
    Darüber sind wir uns einig, ich und Baby. Wir sind uns einig.
    Wir sind eins, wir sind ein Mensch.

13
AN ES
    Er hat mich geliebt, ich weiß es doch. Vielleicht als Einziger auf der ganzen Welt.
    Meine Mutter liebt nur ihre Arbeit, das ist klar. Sie ist wieder Superwoman, und sie ist es gerne, ich kann ihr das nicht bieten. Immerhin ist jetzt wieder offiziell Schule, das heißt, »ich bin nicht mehr zu Hause«, muss also von ihr nicht mehr umsorgt, unterhalten oder einfach nur beobachtet werden. Es wurde eng nach einer Weile. Es ist bei dem einen Frühstück und dem Moment, als sie für mich gelogen hat, geblieben. Danach waren wir uns nicht mehr so nah, vielleicht auch zu nah, zu eingesperrt.
    Morgens stehe ich inzwischen – also seit den Ferien – tatsächlich auf, es ist nicht mehr nur eine Lüge, ich muss mir das in

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