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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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müssen, weil man sonst alleine nach Hause muss. Nicht alleine an einem Treffpunkt stehen, an einem Samstag, weil man jemanden angerufen und sich mit dem fürs Kino verabredet hat. Immer nur müssen. Ich bin froh, so wie ich jetzt lebe, ich bin verdammt froh. Richtiggehend glücklich.
    Mein Schweiß verschmiert die Schrift auf dem Ticket, die Sitzplatznummer und den Titel des Films, verschwommene Vergangenheit. Fort damit, nicht aufheben, sich nicht aufhalten lassen. Das Eintrittskartenröllchen kann aus dem Fenster. Es segelt nach unten, der Wind hat zugenommen, an Fahrt aufgenommen, an Kraft, an Wahn, und presst das Ticket – tatsächlich – gegen die Scheibe der Wohnung unter uns, glaube ich, ich kann es nicht sehen. Ich sehe diese Vergangenheit nicht mehr. Sie ist weg und interessiert mich herzlich wenig. Hallo, Zukunft.
    Wenn die bloß nicht so grau wäre. So unklar. Wenn mir doch irgendjemand sagen könnte, was mich da eigentlich erwartet. Jemand, der sich auskennt. Meine Mutter ist nicht dieser Jemand. Die hat doch selbst keine Ahnung, was passieren soll, die flickt noch ihr eigenes Herz, leckt ihre eigenen Wunden. Die ist beschäftigt.
    Es müsste jemand wie die Apothekerin sein. Die wusste, was los war, sofort. Mit der müsste ich nicht um Worte ringen.
    Der Zettel! Sie hat doch gestern einen Zettel in die Tüte getan, das habe ich bemerkt, aber dann sofort wieder vergessen.
Wegen meiner Mutter, die plötzlich zu Hause war. Wegen eines neuen Gefühls ihr gegenüber. Ein mütterliches Gefühl. Aber wo ist der Zettel? Das ist jetzt wichtiger, als über Gefühle nachzudenken. Vielleicht steht die Lösung darauf? Bitte! Oh, bitte, bitte!
    Er steckt tatsächlich noch in der Tüte. Ich sehe durch das Plastik, dass er sauber gefaltet und in einzelnen Zeilen beschrieben ist, in einer geraden, kleinen Schrift. Ganz anders als meine, die dazu neigt, sich in alle Richtungen zu biegen, weil ich beim Schreiben oft den Kopf fast ganz auf das Papier lege und dann wieder in den Nacken lege, so dass alle L- oder T-Striche auseinanderkippen. Ich kann mich an diese Strichexplosionen in meinen Heften noch gut erinnern. Aber geschrieben habe ich seit langem nicht mehr. Weiß gar nicht, wie ich jetzt schreiben würde. Nicht so kontrolliert wie die Apothekerin, das ist sicher. Das könnte ja gedruckt sein. Ist es aber nicht, oder? Ich habe Angst, dass es doch gedruckt ist. Reiße den Zettel aus dem raschelnden, steifen Plastik. Gott sei Dank. Handgeschrieben. Persönlich. Buchstabengewordene Worte. Eine ausgestreckte Hand. Ein Lächeln auf Papier. Was schreibt sie denn?
    Drei Zeilen. Drei Namen. Drei Nummern?
    Dr. Riedlein, Psychologin 573832
    Dr. Schneider, Experte für Aspiration 591548
    Dr. Weidbach, Ich 573535
    Was soll das denn? Warum eine Psychologin? Was um Gottes Willen ist Absorption? Was soll ich denn damit machen? Wo ist meine Hilfe? Meine Antwort? Warum nur wieder Fragen?
    Warum habe ich gedacht, dass mir jemand helfen könnte? Habe ich es denn immer noch nicht verstanden, dass ich ganz auf mich gestellt bin? Doch. Und doch nicht. Ich kann nicht aufhören zu hoffen. Ich bin so dumm. Ich stehe noch einmal auf von meinem Fensterbrettplatz, laufe durch mein Zimmer, in dem alles zu stecken scheint, was sich auch in mir, in meiner Seele in den letzten Jahren angesammelt hat, Gegenstände, die einmal Gefühle waren. Auch der Zettel mit den drei Telefonnummern, denn das sind sie, das sind Menschen, die ich anrufen könnte, die ich fragen könnte, soll Teil der Erinnerung werden. Er soll doch verrotten. Ich werde mich nicht lächerlich machen und auf Hilfe hoffen und irgendjemanden anrufen, von dem ich nicht einmal weiß, wofür er Experte ist. Oder jemanden, der nur dafür da ist, mir auf Fragen mit Fragen zu antworten, Psychologen treiben einen doch in den Wahnsinn, und immer denken sie, man wäre als Kind in die eigene Mutter verliebt gewesen oder so etwas, und dabei weiß ich genau, dass das nicht so war. Nicht so ist. Der Zettel kommt also zu dem Test hinter den Plüschflaum, über den zu streicheln ich mir nicht helfen kann, auch wenn ich – natürlich – mit einem elektrischen Schlag belohnt werde. Und das Buch bleibt da liegen. Da auf dem Regalbrett. Ich sitze ihm gegenüber. Auch die Apothekerin, »Ich«, werde ich nicht anrufen. Sie hat mich verraten, hat mir nichts gegeben als Illusionen, die Idee, es gäbe noch einen Ausweg aus dieser Situation, eine Lösung, die nur sie kennt und die sie mir auf das Papier

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