Euro Psycho
habe ein flaues Gefühl in der Magengegend. Das kann ich jetzt echt nicht brauchen. Denn obwohl Rio ein loyaler Vizekapitän ist, ist er – um ehrlich zu sein – im Lager der Nationalelf mein einziger ernstzunehmender Rivale um die Lifestyle-Krone … Er hat mehr Twitter-Follower als ich. Ich habe daran gedacht, darüber mit Nationaltrainer Fabio Capello, dem Schleifer mit dem hervorstehenden Kinn, zu sprechen. Denn das ist nicht in Ordnung, oder? Es schadet der Disziplin innerhalb der Mannschaft, wenn der Vizekapitän mehr Fans hat als der Kapitän.
Das sendet die falschen Signale aus.
Aber es geht nicht nur um Twitter – ich mustere Rio, denn lifestyle-technisch hat der gute Rio Ferdinand seine Fühler auch noch woanders im Spiel.
In der Glotze. Er hat eine eigene Sendung. Rios World-Cup-Streiche – eine in der Realität angesiedelte Reality-Show, die auf dem bewährten Format der versteckten Kamera basiert. In einer der spektakulärsten Folgen wurde der kleinwüchsige Flügelspieler Shaun Wright-Phillips so verarscht, dass er glaubte, er hätte aus Versehen einen albanischen Einwanderer abgeschoben.
Manch einer mag das ja witzig finden, ich nicht. Denn wenn man von der Insel verbannt wird, bricht es einem das Herz – ob man nun aus Frankreich kommt oder aus Neuguinea. Diesen Albaner zum Schein aus dem Mutterland des Fußballs zu verbannen, hätte bei ihm einen Herzstillstand auslösen können. Denn warum sollte er nicht hier sein? Jeder Normalsterbliche auf diesem grünen Planeten hat eine faire Chance auf ein Leben in England verdient. Wer einmal davon gekostet hat, kann nicht mehr davon lassen.
Wie auch immer.
»Alles klar?«, fragt Rio und mustert mich.
Und war’s das mit seinem Lifestyle? Leider nicht.
Denn er hat – »Gut. Prima. Und selbst?«, antworte ich – das erste digitale Lifestyle-Magazin der Welt, #5 , aus der Taufe gehoben, mit Produktempfehlungen, Promi-Interviews und einem Musik-Chat. Und diesen Vorteil hat er eiskalt verwandelt, indem er seine eigene App herausgebracht hat. Mit exklusiven, selbstproduzierten Videos. Von ihm. Mit Links zu Kommentaren auf Twitter. Von ihm. Und aktuellen Nachrichten. Über ihn.
Es ist demütigend, dass der Vizekapitän über so viel Lifestyle verfügt. Ich hasse es. Das verunsichert mich. Zwischen uns herrscht eine frostige Atmosphäre, das muss man sagen. Wir sind zwei Lifestyle-Gladiatoren, die sich auf dem Laufsteg des Fußball-Kolosseums einen Zweikampf liefern. Wenn ich so sagen darf.
»Fein«, erwidert Rio, er sieht unverschämt gut aus.
Mein Herz bäumt sich auf wie ein wildgewordenes Hermelin. Obwohl ich gerade im Wellness-Bereich bin, verkrampfen sich meine Muskeln.
Ich kann auf das hier gerne verzichten. Ich werde deklassiert. Doch auch wenn alles verloren scheint, vergesst nicht: Ich habe noch meine KevKingCouture. Zugegeben, Rio hat vielleicht – ja, er hat – auch seine eigene Modekollektion, 5 by Rio Ferdinand, eine Produktlinie mit Schuhen und Accessoires. Schön. Einige seiner Schuhe haben ein klassisches Design, und einige Produkte verströmen einen »lässigen Charme« – so steht es auf seiner Website. Nicht dass ich sie bis in jede Einzelheit kenne. Okay, und die Reuben-Stiefel mit Lederkappe und Ton-in-Ton-Strickbund aus der Ferdinand-Kollektion werden von der R&B -Gesangstruppe JLS getragen. Aber mal ehrlich, um es mit einem Wort zu sagen: Was soll’s?
Denn hat er sein eigenes Aftershave? Nein. Einen Scheiß hat er.
Bringt er Hosen, Hüte, T-Shirts und Tops heraus? Scheiße, nein.
Und was ist mit einer umfassenden Auswahl an Frauen-Slips? Die hab doch ich auf den Markt gebracht, oder? Ich könnte noch mehr aufzählen.
Denn Rios Anstrengungen auf dem Modesektor werden von meinen in den Schatten gestellt. Ja, jetzt geht’s mir etwas besser. »Du hast Essensreste am Kinn«, sage ich und mache klar, wer hier der Chef ist.
Ich habe ihn in die Seile geschickt. Ich werfe meinen Bademantel weg und präsentiere ihm meine Easy-Oasy-Shorts.
Er öffnet den Mund und will gerade seine Niederlage eingestehen, als die Tür des Wellness-Bereichs aufgestoßen wird. Und wer kommt hereinspaziert?
Stuart Pearce, der frühere Linksverteidiger im Nationalteam und Trainer der U21 . Ein harter Hund. Abgesehen von Ray Clemence ist er der einzige Alt-Internationale in Fabio Capellos Trainerstab. Pearce ist ebenfalls früh dran. Was ist hier los? Außerdem ist er knallrot.
Offensichtlich ist er wütend. Echt wütend.
Also, ich weiß ja,
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