Euro Psycho
kommt niemand in meine Richtung. Doch es ist immer noch da, das Geräusch, eine Stimme, ein entferntes Flüstern. Was sagt diese Stimme?
»Kev«, höre ich. »Kev.«
Erleichterung.
Es ist meine werte Stimme, meine innere Stimme, die mich leitet und in der Stunde der Not zu mir spricht, um mir in ihrem leidenschaftlichen, emotionalen Tonfall beizustehen, mich zu motivieren und mir einen Weg aus der schlimmsten Krise meines Lebens zu weisen.
»Schön«, sage ich zu meiner inneren Stimme. »Alles okay?«
Denn etwas Höflichkeit kann nicht schaden, oder? Selbst gegenüber einer körperlosen Stimme, die einem inmitten des urtümlichen, unberührten Waldgebiets auf dem Luxus-Golfplatz des Grove etwas zuflüstert.
»Mir geht’s gut«, erwidert die Stimme. »Ich lass mich nicht unterkriegen.«
Schön zu hören. Das tut gut. Aber kommen wir zum Geschäftlichen. »Ich stecke mächtig in der Scheiße, Stimmenpartner«, sage ich.
»Ich weiß«, antwortet meine innere Stimme. »Aber der Himmel liegt dir immer noch zu Füßen.«
Gut, okay, schön. Das klingt zuversichtlich. Wenn auch, na ja, etwas vage. Was soll das überhaupt heißen?
»Und was soll ich jetzt tun?«, frage ich meine innere Stimme ohne Umschweife, flehe sie an, mir in diesem Lifestyle-Treibsand das rettende Seil zuzuwerfen.
Und dann spricht mein innerer Kompass jene Worte aus, die mein Leben für immer verändern sollen. »Denk an Las Brisas«, murmelt die Stimme.
»Denk an Las Brisas.«
Der innovative Hummel-Schuh
Heathrow.
Das ist ein Flughafen.
Ich stiefle auf die Erste-Klasse-Lounge zu und trete ein, schnappe mir einen Montagny 1er Cru Boillot 2008, zwinkere der Kellnerin selbstbewusst zu und gebe ihr ein dickes Trinkgeld.
Also normalerweise würde ich das tun. Heute aber nicht.
Nein, ich spähe vorsichtig um die Ecke zu den glänzenden Türen der Lounge. Gegenüber hat ein umtriebiger Paparazzo Position bezogen und wartet darauf, dass ihm zufällig ein A-Promi vor die Linse läuft. Wusst ich’s doch. Diese Typen lauern einem immer und überall auf. Normalerweise werfe ich mich gerne in Pose und zeige die Beißerchen. Doch heute möchte ich nicht abgeschossen werden, die Presse soll nicht unbedingt mitkriegen, dass ich das Land verlasse und wohin.
Flughafentechnisch bin ich heute inkognito und hoffe, dass die KKC -Englishmen-Prefer-Bonds-Baseballkappe und die Sonnenbrille von Oliver People’s Wayfarer meine wahre Identität verbergen. Ich laufe weiter, verbannt aus der Erste-Klasse-Lounge. Muss ich jetzt wirklich die Anzeigetafeln nach einem Flug in der Holzklasse absuchen? Niedergeschlagen schlurfe ich zum Schalter irgendeiner Scheiß-Airline, weiter zum Check-In und in den Wartebereich, obwohl ich jetzt am liebsten in der Bar mit dem exklusiven Wein- und Meerestiere-Angebot säße. Um meine Tarnung aufrechtzuerhalten, trotte ich zu einem italienischen Billigrestaurant. Dann muss ich mich in Reih und Glied durch die Sicherheitskontrolle schlängeln. Dabei fällt mein Blick auf die Menschenmassen, die wie Schafe im Gate herumtrotten. Der Gestank von warmen Windeln und selbstgemachten Sandwiches verpestet die Luft.
Muss ich mir das hier wirklich antun? Unentwegt frage ich mich, ob ich jetzt auf ihr Niveau herabgesunken bin, ob ich wie sie bin.
Ich kann das nicht zulassen. Mit hochgezogenen Schultern, den Blick zu Boden gerichtet, betrete ich den Einkaufsbereich des Terminals, nehme die unterwürfige, gekrümmte Körperhaltung der Normalos um mich herum ein, um nicht aufzufallen.
Da fällt mein Blick auf mehrere Typen mit mittelpreisigen Golftaschen über den Schultern. Offensichtlich haben sie dasselbe Ziel wie ich – Malagas Golf Valley –, allerdings irgendeine beschissene Ecke davon. Sie stehen vor einem Einzelhandelsgeschäft für mittelpreisige Sportbekleidung. Ich schaue kurz auf die Branson-Neon-Sporttasche in meiner Hand. Ich sollte das Ding wirklich loswerden und es durch eine höherwertige von Vuitton oder Mulberry ersetzen – oder was für einen billigen Mittelklasse-Dreck sie im Terminal Shop eben so verkaufen. Doch dafür habe ich jetzt keine Zeit, denn als sich einer der Typen von der Gruppe löst und sich Richtung Scheißhaus begibt, kommt mir eine Idee.
Ich laufe ihm nach. Der Bursche ist anders als der Rest der Truppe, er ist älter und trägt auch nicht ihre prollige Kneipensport-Uniform. Er hat eine kackbraune Craghoppers-Softshell-Jacke an, dazu eine abgewetzte blaue Chino-Hose, von deren Gürtel eine große
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