Europa nach dem Fall
im Gegenteil: Sie empfinden dies als Beleidigung oder Wunde«, auch wenn sie es als das ihnen Zustehende ansehen.
»Barbaren« schien ein grober, vielleicht sogar rassistischer Begriff zu sein, aber war er ganz ungerechtfertigt? Eine der größeren Gangs in der Banlieue, die an zahlreichen Straftaten und terroristischen Aktionen wie der Entführung und Ermordung von Ilan Halimi im Januar 2006 beteiligt war, nannte sich stolz »Die Barbaren«.
Die Wohnverhältnisse sind als der wohl ausschlaggebendste Grund für die Pariser Krawalle von 2005 erwähnt worden, daneben auch noch die Jugendarbeitslosigkeit. Sie beträgt in Frankreich und Deutschland zwischen 30 und 40 Prozent und nicht viel weniger in England und Holland. Ein Berliner Schulleiter sagte: »Wir erzeugen eine Armee von Langzeitarbeitslosen.« Die Rate der Schulabbrecher ist unter türkischen Jugendlichen in Berlin und auch in anderen europäischen Ländern sehr hoch, und sie ist unter Jungen sehr viel höher als unter Mädchen. Nur drei Prozent der muslimischen Jugendlichen schaffen es in Deutschland auf die Universität, und viele der Absolventen bleiben nicht in Deutschland, sondern kehren in die Türkei zurück, weil sie dort bessere berufliche Aussichten haben.
Ihre Sprachkenntnisse sind allgemein gering, was nicht überrascht, weil zu Hause Türkisch oder Arabisch gesprochen wird; Bücher sind in den wenigsten Haushalten zu finden, und der Gebrauch des Deutschen (oder des Englischen) wird von den Eltern missbilligt, die oft die Landessprache nicht beherrschen. Jungen werden auf eine Madrasa geschickt, eine Koranschule, in der sie außer der Religion keine anderen Fächer lernen. Mädchen wird der Schulbesuch nach dem 16. Lebensjahr oft verboten, und an einen Besuch der Universität ist gar nicht zu denken, weil sie dort unerwünschten Einflüssen ausgesetzt sein könnten. Als eine Berliner Schule nach Beratung mit den Schülern und Eltern entschied, Deutsch zur alleinigen Unterrichtssprache zu machen, geriet sie unter heftigen Beschuss durch die türkischen Medien, obwohl die meisten Schüler und deren Eltern die Entscheidung befürworteten. Einige wohlmeinende Wortführer des Multikulturalismus schlossen sich dem Protest an, weil sie glaubten, dass diese Politik einer kulturellen Repression gleichkomme. Doch wie soll ein soziales und kulturelles Vorankommen einer jungen Generation zu erwarten sein, wenn sie nicht die Landessprache beherrscht?
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind als für die Minderleistung von muslimischen Jugendlichen verantwortliche Faktoren angeführt worden. Doch Muslime sind keine Rasse. Keine Berücksichtigung findet zudem der schulische Erfolg von Schülern indischer oder fernöstlicher Herkunft, die in vielen Fächern besser abschneiden als der durchschnittliche deutsche oder britische Schüler. Es erklärt auch nicht, warum muslimische Mädchen ihre Sache viel besser machen als die Jungen. Besteht eine Verbindung zwischen der Tatsache, dass die Mädchen nicht ohne Begleitung ausgehen dürfen, während die Jungen die meiste Zeit auf den Straßen verbringen? Indische Schüler an britischen Schulen sind doppelt so gut wie pakistanische, und die aus dem Fernen Osten haben so gut wie alle anderen Schüler ausgestochen.
Es gibt zahlreiche Erklärungen, doch der manchmal geäußerte Gedanke, das sei alles der Fehler des Staates oder der Gesellschaft, ist nicht plausibel oder besonders hilfreich, wenn es darum geht, die Lage zu verbessern. Junge Leute bekommen tagaus, tagein gesagt, dass sie Opfer der Gesellschaft sind und dass es nicht wirklich ihre Schuld ist, wenn sie versagen. Als Ergebnis dieses Versagens hat sich eine Jugendkultur der Gewalt und Kriminalität entwickelt, die wenig mit Religion zu tun hat. Trotz des Besuchs von Koranschulen (in Deutschland mehr als in Frankreich oder dem Vereinigten Königreich) sind diese jungen Menschen in ihrer eigenen Religion nicht sehr beschlagen. Sie gehen vielleicht am Freitag in die Moschee, aber sie trinken Alkohol und nehmen Drogen trotz des religiösen Verbots. Den größten Einfluss auf sie üben weder das Elternhaus noch die Imame aus, sondern die Straßengang. Die Eltern haben wenig Autorität; ihre Lebensart sagt den Nachkommen nicht zu, sie können sich nicht genug durchsetzen, sie arbeiten zu hart und verdienen zu wenig. Der herkömmliche Islam spricht viele der Jugendlichen auch nicht an; ein hochrangiger Imam in England sagte: »Wir verlieren die Hälfte von
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