Eva Indra
in dieses Spiel mit dem Feuer und ließ ihren Blick, statt auf die Kugel in dem Kessel, auf Alex ruhen.
Die Zahl drei wurde ausgerufen. Alex, nein sie, hatten verloren. Verlegen versuchte er dem direkten Blick seiner Verbündeten auszuweichen, denn er fühlte sich ganz und gar verantwortlich für diesen Verlust. Dessen ungeachtet, hatte er schließlich doch noch den Mut aufgebracht und in ihre blitzblauen, funkelnden Augen gesehen, die außer einem verschmitzen Lächeln nichts Bösartiges auszusagen vermochten. Aber vielleicht war es gerade diese souveräne Art und Weise über den Dingen zu stehen, die ihn dazu brachte sich zu erheben, während sie gerade eine kleine Zigarillo aus einem schwarzen Samtbeutel gezogen hatte. Es trieb ihn förmlich in ihre Richtung. Sie hingegen war über seine unvermittelte Präsenz nicht im Geringsten überrascht. Ganz im Gegenteil, es schien Alex, als hätte sie ihn förmlich an ihrer Seite erwartet. „Danke“, hauchte sie ihm förmlich entgegen, nachdem er ihr Feuer gegeben hatte. Doch dieses lodernde Spiel bekam mit einem Mal Konkurrenz, denn schon lief diese Kugel wieder in dem Trichter. Wenngleich die Zeit drängte, blies sie sich seelenruhig den Rauch aus den Lungen und setzte nur einen einzigen Jeton auf die Zahl mit der Nummer zwölf. Der Umstand, dass sie umgerechnet fast tausend Dollar gesetzt hatte, beschämte Alex auf Neue. Sollte er einen verhungerten fünf-Dollar-Jeton nachsetzen? Was würde sie bloß von ihm denken? Ungestüm platzierte Alex seinen Jeton auf den ihren, denn die Kugel lief von Sekunde zu Sekunde langsamer.
„Ich habe Sie hier noch nie gesehen“, sagte die Dame unbeeindruckt von der Tatsache, dass sie eben gerade ein Vermögen gewonnen hatten.
„I beg your pardon. I am really sorry, but I don't speak German“, faselte Alex, der diesen Gewinn immer noch nicht ganz fassen konnte.
„Oh, my god! Ich muss mich entschuldigen!“, sagte die Dame und ein ansteckendes Lachen brach aus ihr. „Wie dumm von mir anzunehmen, dass Sie Deutsch sprechen“, sagte sie im fließenden Englisch.
Alex nickte beschämt und erinnerte sich wieder daran, dass er nur der französischen Sprache mächtig war. Um so mehr war er heilfroh, dass sie Englisch sprach, aber das war sicher nicht der einzige Grund, warum er sie umgehend auf ein Glas Champagner an der Bar einlud. Dass sie ihm eigentlich auf seine Einladung gar nicht geantwortet und ihre Jetons wortlos in den Samtbeutel geschüttet hatte, war allerdings nicht nur auf seine Einladung zurückzuführen: Der Chefcroupier hatte einen Handwechsel, la boule passe, angekündigt. Bei Roulettespielern, die ihr Spiel „auf der Hand des Croupiers aufbauten“, konnte ein solcher Wechsel zur Folge haben, dass sie den Tisch
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Eva Indra Bis aufs Blut
verließen, weil sie der Ansicht waren, dass jeder Croupier seinen eigenen Rhythmus hatte. Dies war weithin bekannt.
An der Champagnerbar befand sich Alex nun in der Gesellschaft einer Frau, die ihn durchweg faszinierte. Abgesehen davon war sie für Alex eine willkommene Abwechselung zu den jungen Gören, denn sie hatte nichts gemein mit den kindlich hysterischen Mädchen, mit denen er die letzten Stunden verbracht hatte. Nein, ganz im Gegenteil. Eine prickelnde, geheimnisvolle Aura umgab diese Frau, die gute zwanzig Jahre älter war als er. Nichtsdestotrotz machte sie keine Umstände, ihm frischvergnügt über ihr Leben, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen zu erzählen. Und wenngleich die Bekennungen ihres Lebens Alex interessierten, so war es doch mehr ihre Ausstrahlung, ihr hinreißender Tonfall, ihre geschmeidigen Handbewegungen, die Alex verzauberten. Er selbst hatte sich als Glenn Morgan vorgestellt. Doch wie gerne hätte Alex ihr sein Herz ausgeschüttet, ihr von seiner Misslage, seinen Problemen und Schulden erzählt, denn er sehnte sich mit Ungeduld nach jemanden, dem er alles erzählen konnte. Statt dessen - und natürlich auch, um seinen Anteil an dieser Konversation zu leisten - verstrickte er sich immer mehr in Lügen und hatte schließlich immense Schwierigkeiten, ihrem eindringlichen Blick standzuhalten. Vielleicht hatte er ihr deshalb den Vorschlag unterbreitet, wieder an den Roulettetisch zurückzukehren. Doch urplötzlich geschah etwas Unerwartetes, etwas, dass Alex an den Satz: „Lügen haben kurze Beine“, denken ließ:
„Alex, Ich fasse es nicht. Was zum Teufel machst du hier?“, rief der Mann aus, der eben auf Alex zugetreten war und ihm herzhaft auf
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