Eva Indra
warum du ihm nicht einfach dieses Buch gibst? Dann hat er was er will, lässt dich in Ruhe und du...“, unterbrach Lisa Annas Gedanken.
„Hörst du mir eigentlich zu? Er würde mich vielleicht bei der Polizei anzeigen, schließlich habe ich seinen Vater soweit provoziert, dass er einem Herzinfarkt erlegen ist. Abgesehen davon, hab' ich ihn einfach auf dem Küchenboden liegen gelassen und bin...“
„Anna, bitte! Er ist an einem Herzschlag gestorben. Da kannst ja du wohl nichts dafür, wenn der alte Knacker ins Gras beißt.“
Die Konversation drehte sich im Kreise und Anna wusste nur zu gut, warum. Wie sollte sie Lisa ihre prekäre Lage verständlich machen, wenn sie den wichtigsten Teil der ganzen Tragödie, den Mord, nicht erwähnt hatte? Andererseits, wie konnte sie es Lisa erzählen, ohne sie ungewollt zu einem Mitwisser zu machen? Sie wollte einfach nur einen Rat, weil sie in einer psychologischen Sackgasse steckte, keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, geschweige denn entscheiden konnte was nun als Nächstes zu tun sei. Sie konnte nur mehr instinktiv handeln, aber was hatte ihr Instinkt ihr in all den Jahren eingebracht? Ärger, nichts als Ärger.
Deshalb würgte Anna die Unterhaltung gnadenlos ab, verließ mit Lisa das Kaffeehaus und eröffnete im Postamt ein weiteres Schließfach. Diesen Schlüssel würde sie Alex geben. Das eigentliche Corpus Delicti, das Buch nämlich, würde sie aus dem anderen Schließfach entnehmen und sich auf eine erneute Flucht begeben. Diesmal jedoch ohne Alex. Es war vielleicht nicht der beste Plan, aber ein besserer fiel ihr in der Kürze der Zeit einfach nicht ein. Was ihr allerdings siedendheiß einfiel war die Tatsache, dass ihr der Schlüssel für das andere Schließfach fehlte. Anna dachte angestrengt nach. Wann und wo hatte sie ihn das letzte Mal gehabt? Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Richtig, sie war am Vorabend mit dem Schlüssel in der Hand eingeschlafen. Das bedeutete also, dass er nach wie vor im Bett sein müsste.
Als sie in Lisas Wohnung zurückgekehrt waren, begrüßte sie Alex mit einem hochroten Kopf und einem Ausdruck in den Augen, der Anna bei Gott nicht gefiel. Was war nur los mit ihm? Ihre Frage sollte umgehend beantwortet werden.
„Was ist das?“, stieß er fast hysterisch aus und fuchtelte mit dem kleinen Schlüssel des Schließfaches vor ihren Augen herum.
„Ich ziehe das Unglück nur so an“, dachte sich Anna, als sie sah, was er in der Hand hielt. Fassungslos und unfähig zu sprechen suchte sie krampfhaft nach einer plausiblen Antwort, doch so sehr sie sich auch bemühte, es fiel ihr einfach nichts ein. Schließlich zuckte sie unwissend mit ihren Schultern, als hätte sie keine Ahnung von diesem
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Eva Indra Bis aufs Blut
Schlüssel. Wenn sie Glück hätte, würde er ihr vielleicht glauben. Wenn nicht, konnte man mit Gewissheit sagen, dass Anna in einer anderen Haut stecken wollte. „Was ist das für ein Schlüssel, Anna? Willst du mich verarschen!? Ich hab' den Schlüssel in deinem Bett gefunden!“
Lisa war einen kleinen Schritt zu Seite getreten, um sich an ihm ins Wohnzimmer vorbei zu mogeln. Der Gedanke war an sich gut, doch schon wurde ihr Einhalt geboten, denn Alex hatte sich mit ausgestreckten Armen vor der Wohnzimmertüre aufgebaut und ihr so den Weg abgeschnitten.
„Ihr zwei glaubt wohl, ihr könnt mich reinlegen, aber da habt ihr euch gründlich getäuscht. Ich frage euch nun zum letzten Mal. Was ist das für ein Schlüssel? Ihr führt etwas im Schilde“, sagte er und man sah ihm an, dass er fieberhaft nach einer Erklärung suchte. „Jetzt weiß ich es!“, stieß er fast triumphierend aus. „Das ist der Schlüssel zu einem Safe und in dem Safe habt ihr zwei das Buch versteckt, stimmst?!“ Anna schüttelte verzweifelt verneinend den Kopf.
„Wenn ihr mir nicht sofort sagt wo dieser Safe ist, stelle ich die ganze Wohnung auf den Kopf und seid euch sicher, ich werde ihn finden“, stieß Alex aus und trat einen Schritt auf Anna zu.
„Alex, lass sie in Ruhe! Sie weiß es nicht.“, entgegnete Lisa. Anna freute sich über ihre Loyalität. Aber trotz Lisas Hilfe nahm diese Situation Formen an, dass es Anna Angst und Bange wurde.
„Ich habe jetzt genug, Anna! Sag mir sofort, wo du das Buch versteckt hast!“, stieß er aus und trat noch ein Stück näher an sie heran.
Sie verstrickte sich mit Alex in einem körperlichen Handgemenge. Es war nicht ihr erster Streit, bei dem ihre Wortwechsel
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