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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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lag auf dem Bett neben ihrer nur mit einem Unterrock bekleideten Mutter, deren Körper sie wieder so für sich reklamierte wie zu der Zeit, als sie noch ein Säugling war. Dabei wusste sie schon, dass sie mit ihren vier Jahren eigentlich zu alt für die Brust war, doch an diesem Abend war Gerda geduldiger als gewöhnlich. Und Eva gedachte dies für sich zu nutzen.
    Da klopfte es an der Tür. Weil man Unangenehmes, das nicht sein durfte, am besten gar nicht wahrnahm, vergrub Eva ihr Gesicht noch etwas tiefer unter der Achselhöhle ihrer Mutter. Doch die richtete sich ein wenig auf, stützte sich auf die Ellbogen und lauschte. Das Klopfen wiederholte sich, begleitet von einer Männerstimme: »Gerda? Bische do? «
    Sie streifte sich den Musselinunterrock bis zu den Knien hinunter und ging zur Tür. Es war der Schütze vom Friedhof, der Peter als Helden bezeichnet hatte. Statt der Andreas-Hofer-Tracht trug er jetzt normale Bauernkleidung. Seine Augen glänzten, offenbar hatte er etwas getrunken, aber nur ein wenig, gerade genug, um sich Mut zu machen.
    »Schläft sie?«, fragte er, indem er Gerda eine Hand auf die nackte Schulter legte.
    Die drehte sich zu Eva um, die jetzt vom Bett aus den Eindringling mit stummer Abneigung betrachtete, und schob die Hand des Mannes von ihrer Schulter.
    »Nein«, sagte sie und machte ihm die Tür vor der Nase zu.
    Auch das war etwas, was Eva an diesem Tag lernte: Nicht zu schlafen konnte die Rettung bedeuten.

Km 850–903
    Ich stelle mir zwei Reisende vor. Sie kommen von weit her, vielleicht von einem anderen Erdteil. Wie die Inder im Nebenabteil, die unablässig in ihre Handys reden, oder die amerikanischen Mädchen. Einer dieser beiden Reisenden betrachtet jenes Italien, das rechts am Fenster entlangzieht, der andere richtet seine Augen auf das Italien zu ihrer Linken.
    Es sind zwei verschiedene Welten. Rechts des Zuges ragt, wie ein mythischer Walfischkopf, das Kap von Gaeta aus dem Mittelmeer hervor. Oliven- und Zitronenhaine, gelbe, pinkfarbene und rote Felder fallen zum glitzernden Wasser hin ab. Farben, die von Üppigkeit und Fülle, vom guten Leben künden. Links dagegen, in Richtung Landesinnere, ziehen schroffe, grimmig abweisende Bergketten entlang. Obwohl um einiges niedriger, wirken sie ähnlich einschüchternd wie unsere Gletscherriesen. Sogar das Klima ist unterschiedlich. In der Ebene und über dem Meer strahlt das junge Licht des Frühlings; die Gipfel im Hinterland sind dagegen von schweren, dunklen Wolken eingehüllt.
    Was für ein sonniges, fruchtbares, lebensfrohes Land, sagt der erste Reisende.
    Wie trostlos, karg, menschenfeindlich …, sagt der zweite.
    Würden die beiden erzählen, was sie gesehen haben, würde niemand für möglich halten, dass sie denselben Landstrich Italiens durchfahren haben.
    Auf der vier-, höchstens fünfstündigen Strecke zwischen dem Brenner und Bologna findet man fast immer einen Bistro- oder Speisewagen. Im Zug von Rom bis ganz hinunter nach Reggio Calabria sollte man das umso eher erwarten. Aber dem ist nicht so.
    »Ja, den gab’s früher auch, aber der Service wurde eingestellt«, erklärte mir der Snackverkäufer, der, vom Rattern seines Wagens angekündigt, in der Tür unseres Abteils aufgetaucht ist. Er hat Wasser und Erfrischungsgetränke dabei, Salzgebäck und eingeschweißte Snacks. Den Grund, weshalb es in diesem Zug nichts als Junkfood zu essen gibt, hat man mir bereits in der Schule beigebracht. Er trägt einen pompösen Namen: das sogenannte Süditalienproblem.
    Die beiden Amerikanerinnen versorgen sich mit Chips.
    »Und für Sie, Signorina, was darf ich Ihnen geben?«
    »Die da.« Ich deute auf eine Schachtel Schokoladenplätzchen.
    »Zwei Euro zehn. Haben Sie es vielleicht passend, Signora?«
    Ich zähle ihm das Kleingeld auf den Cent genau in die Hand.
    »Danke, gute Weiterfahrt, Signorina.«
    Signorina, Signora, Signorina. Daran bin ich gewöhnt: Die Einschätzung meines Alters durch Fremde schwankt wie eine Seilbahngondel im Sturm. Ich lächele dann nur, als seien beide Anreden zutreffend.
    Dieser Snackverkäufer ist ein hübscher Junge, auf fast schon übertriebene Weise südländisch: offenes Lächeln, zusammengewachsene Augenbrauen, schmale Hüften wie ein Tänzer. Die Strategie der Bahngesellschaft Trenitalia ist klar: Wenn man schon die Speisewagen streicht, müssen wenigstens die Snackverkäufer etwas hermachen. Schade, aber die Bewegungen seiner Hände lassen keinen Zweifel zu, dass er homosexuell ist. Was

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