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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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zum Brigadiere hatten ihn die Vorgesetzten nun wieder »ins Warme«, wie man sagte, zurückgeholt und mit der Aufgabe betraut, sich um die Lebensmittelversorgung der Garnisonskaserne unten im Tal zu kümmern. Man glaubte, ihm damit einen Gefallen zu tun. Aber dem war nicht so. Vito stellte bald fest, dass er sich nach der Zeit in der unverfälschten, rauen Natur in einer aufs Elementare konzentrierten Gemeinschaft mit seinen Männern zurücksehnte. Doch er war Carabiniere und daran gewöhnt, die ihm übertragenen Aufgaben nach bestem Können zu erfüllen. Und das tat er auch.
    Nach seinem ersten Tag und den ersten Erfahrungen mit den Lieferanten hatte er gedacht: Auf den Höfen oben in den Bergen haben sie einem immerhin »Grüß Gott« gesagt.
    Mit einem freundlichen »Buon Giorno« und seinem offenen Lächeln hatte er die Metzgerei betreten, die seit Jahren die Kaserne mit Fleisch belieferte. Doch der Metzger hatte seine ausgestreckte Hand nur angesehen wie einen Haufen Eingeweide und geantwortet:
    »Wie viel?«
    Und so erging es ihm auch beim Bäcker und bei den Bauern, die die Kaserne mit Milch und Butter versorgten, und selbst der Obsthändler, der ein halber Trentino war, wollte seine Begrüßung nicht erwidern. Nun, an die Abneigung der Einheimischen gegen Italiener und vor allem gegen italienische Soldaten war er ja gewöhnt. Als er sich dann aber die Bücher anschaute, wurde ihm einiges klar.
    Über Jahre hatten seine für die Proviantbeschaffung zuständigen Vorgänger in die eigene Tasche gewirtschaftet. Hatten überall anschreiben lassen, ohne jemals die Schulden zu begleichen. Und für die heimischen Kaufleute stand fest: Die Walschen sind nicht ehrlich, sie benutzen ihre Machtposition, um kleine Leute zu betrügen. Metzger, Bäcker, Bauern, sie alle waren auf die Lieferungen für die Kaserne angewiesen. Zweihundert Kilo Fleisch am Tag, dreihundert Kilo Brot: Wer konnte es sich schon leisten, auf solch eine Kundschaft zu verzichten? Was sie aber konnten, das war, nicht zu grüßen.
    Und so beschloss er, jedem Einzelnen zu beweisen, dass nicht alle Italiener Betrüger waren. Auch auf diese Weise, so dachte er, konnte man dem Vaterland dienen.
    Seit Monaten sparte er nun bei den Bestellungen und hatte auf diese Weise bereits etwas Geld zur Seite legen können, um die Schulden seiner Vorgänger bei den Kaufleuten in der Stadt zurückzuzahlen. Im Frühling, so schätzte er, würde die letzte Schuld endlich beglichen sein.
    Und schließlich wurde er gegrüßt, wenn er ihre Läden betrat.
    Ein neuer Wind, der Veränderungen brachte, wehte auch innerhalb der mit Stacheldraht gesicherten Kaserne.
    Für die in Alto Adige stationierten Carabinieri war das Leben immer hart gewesen, auch wenn sie nicht auf den Bergkämmen längs der Staatsgrenze zu patrouillieren hatten, sondern »im Warmen« Dienst taten. Ein freier Tag in der Woche war eine Chimäre: Es gab ihn, aber niemand bekam ihn zu fassen. Der Kommandant trug ihn zwar in die Kladde mit den Dienstplänen und Ausgangsgenehmigungen ein, aber nur um der Bürokratie Genüge zu tun, denn gearbeitet wurde trotzdem. Wer sich beschwerte, lief Gefahr, dass seine Beurteilungen in der Personalakte plötzlich schlechter ausfielen.
    Seit einigen Monaten aber genoss Vito Anania tatsächlich, wie seine Kollegen auch, einen echten Ruhetag in der Woche. Schon allein um etwas Schlaf nachzuholen, kam dem Brigadiere der freie Tag gerade recht, denn seit Jahren schlief er zu wenig. Man gestand den Soldaten außerdem einige andere Rechte und Vergünstigungen zu, wofür sich besonders ein gewisser Giorgio Almirante, der Chef der neofaschistischen MSI, eingesetzt hatte, was viele Carabinieri nicht vergaßen, als sie später in der Wahlkabine standen.
    Mit diesen Neuerungen in ihrem Soldatenleben war Vito Anania mehr als einverstanden. Mit anderen aber absolut nicht.
    »Ja, du kannst dich drauf verlassen. Ich bring es dir vorbei, sobald ich es fertig habe«, hörte er eines Tages auf dem Weg durch den Gang einen Sergente zu einem Offizier sagen. Er wusste, dass sich die beiden Männer seit Langem kannten, da sie zur gleichen Zeit die Militärschule besucht hatten. Aber einen Vorgesetzten zu duzen war für Vito einfach undenkbar und würde es auch immer bleiben. Doch mehr als Empörung spürte er, als er dieses »Du« hörte, eine tiefe Scham. Er schämte sich für den Offizier, für den Sergente, ja sogar für sich selbst.
    Da sie nun weniger zu arbeiten hatten, kam es allerdings

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