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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Farbe, die anmutig eine Schlucht überspannt. Die Trasse des Gleisbetts zieht sich weiter, bis sie … gegen ein Haus stößt. Ob sie dort drinnen weiterverläuft? Wer weiß. Vielleicht verhält es sich wie bei diesen Häusern in Rom, die um antike Aquädukte herumgebaut wurden. Ein Bogen, über den vor zweitausend Jahren Wasser in die Ewige Stadt geleitet wurde, dient heute als Architrav. Auch nicht schlecht, denke ich, wenn eine der historischen Eisenbahnlinien des Landes durchs eigene Wohnzimmer verläuft.
    Manche Dinge gibt es eben nur in Italien.
    Mittlerweile ist es noch schlimmer geworden mit dem penetranten Gummigeruch, der einem, sobald der Zug bremst, in die Nase steigt.
    »Was stinkt denn da so?«, stöhnt die Frau mir gegenüber.
    Obwohl seit ihrem Einstieg jetzt schon eine Stunde verstrichen ist, hält sie weiter Handtasche, Plastiktüte und Jacke an die Brust gepresst, als säßen wir in einem überfüllten Zug in Indien und nicht in einem Waggon, der wegen des Feiertags halb leer ist. Sie hat sogar noch ihre Fahrkarte in der Hand, jederzeit bereit, sie dem Schaffner vorzuzeigen. Nach dem üblichen Hin und Her mit Signora/Signorina haben wir im Abteil ein wenig zu plaudern begonnen.
    Die Familie stammt aus Messina. Der Ehemann ist ein pensionierter Polizist, wie ich an seinem grau melierten Schnurrbart und seinem immer noch athletischen Körperbau hätte erkennen können. Die Tochter hat ein literaturwissenschaftliches Studium abgeschlossen und erwirbt jetzt an einem pädagogischen Seminar ihre Unterrichtsbefähigung. Ihre Empörung ist groß.
    »Was da für Leute aufgenommen werden! Manche sind verhaltensgestört und dürften niemals auf junge Menschen losgelassen werden. Andere haben gar nicht studiert und sind nur über Beziehungen reingerutscht.«
    Sie fragen mich, woher ich stamme. Und ich sage es ihnen.
    Hinter der Barriere ihrer Besitztümer hat die Mutter aufmerksam zugehört. Eigentlich müssten ihr längst die Arme schmerzen. Um das alles besser halten zu können, hat sie die Fersen angehoben.
    »Wir waren mal in Ortisei in Ferien, als die Kinder noch klein waren. Sehr schön, Alpe di Siusi, nicht wahr, Mario?«
    »Ja, herrlich, ein Paradies.«
    Die Eheleute lächeln. Vielleicht erinnern sie sich an einen ganz besonderen Moment auf der Seiser Alm.
    »Und bei Ihnen in Alto Adige ist das auch anders als bei uns auf Sizilien. Sie haben eine echte regionale Autonomie. Wir sind zwar ebenfalls autonom gegenüber dem italienischen Staat, werden dafür aber von der Mafia beherrscht. Hätte ich meine Karriere noch mal zu beginnen, würde ich mich nach Norditalien versetzen lassen und dort meine Kinder großziehen, ohne all diese Leute, die es nur über verdächtige Beziehungen zu was bringen.«
    Seine Frau blickt mich an und fragt dann plötzlich, wie aus dem Hinterhalt:
    »Entschuldigen Sie die Frage …, aber fühlen Sie sich eher als Deutsche oder als Italienerin?«
    Noch nicht mal die Tasche hat sie abgestellt, bevor sie mich das fragt!
    Ich hole Luft. Natürlich ist meine Antwort wohldurchdacht und hat sich oft bewährt.
    »Mein Reisepass ist italienisch, meine Sprache Deutsch, meine Heimat ist der südliche Teil Tirols, dessen übrige Teile, Nord- und Osttirol, allerdings in Österreich liegen. Für uns heißt dieser Teil Südtirol, doch im Italienischen sagt man ›Alto Adige‹, oberes Etschland, denn das ist ja der eigentliche Unterschied: Entscheidend war immer, von wo aus man das Land betrachtet, von oben oder von unten.«
    Meine Antwort lässt die Frau verstummen. Sie blickt zu ihrem Ehemann.
    »Aber in Ortisei haben sie doch ladinisch gesprochen, nicht wahr?«, fragt sie ihn.
    »Ja.«
    »Das sich allerdings«, werfe ich ein, »von jenem Ladinisch unterscheidet, das im Val Badia, für uns Gardertal, gesprochen wird.«
    »Eine komplizierte Gegend.«
    »Das können Sie laut sagen.«
    Bis vor einigen Jahren wurde man noch für eine Terroristin gehalten, wenn man angab, eine deutschsprachige Südtirolerin zu sein. Oder zumindest wurde man gefragt: Warum hasst ihr die Italiener eigentlich so?
    Das hat sich mittlerweile geändert. In der Wochenendbeilage meiner Tageszeitung ging es vor einigen Monaten in der Titelgeschichte um separatistische Bestrebungen von Volksgruppen in Europa. Aufgezählt wurden:
    Korsika,
    die Slowakei,
    Schottland,
    Katalonien,
    das Baskenland,
    der Kosovo,
    Montenegro,
    Slowenien,
    Kroatien,
    Bosnien
    und
    Padanien.
    Padanien!
    Von Südtirol keine Spur.
    Als ich einmal

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