Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Zhou heimbrachte, die mich besucht hatte, traf ich auf Signor Song, der zufällig zu Hause war. Was selten vorkommt, denn er ist ständig unterwegs, seiner Geschäfte wegen, die er im ganzen nordöstlichen Italien betreibt. Er bat mich herein und führte mir seine Kiste für die Kampfgrillen vor, die einzige Habe, die er aus China mitnehmen durfte. Darin befanden sich: zwei winzige, mit filigranen Emailleornamenten verzierte Schälchen, eines für Wasser, das andere für Futter; des Weiteren ein Miniaturkäfig, eine Art eheliches Schlafgemach, in dem die rassigsten Kämpfer mit den fruchtbarsten Grillen gepaart werden; eine mikroskopisch kleine Waage, um die Grillen zu wiegen, damit man gleich starke und schwere Tiere gegeneinander antreten lassen kann; und schließlich eine Art Pinselchen mit nur einer Borste, das dazu dient, wie mir Signor Song erklärte, die Grillen vor dem Kampf anzustacheln und aggressiver zu machen. Nun aber war dieses winzig kleine Puppenhaus leer, und das Fehlen der Grillen verbreitete eine Atmosphäre von Verlassenheit und Exil.
»Warum fangen Sie sich nicht zwei Grillen hier irgendwo auf einer Wiese und versuchen, sie gegeneinander kämpfen zu lassen?«, fragte ich ihn.
Signor Song blickte mich aus freundlichen Augen an und antwortete, ohne einen Anflug von Ungeduld:
»Nur eine chinesische Grille kann auf chinesische Art kämpfen.«
Wie ich mich erinnere, schien mir das ein Satz von enormer Weisheit zu sein, und ich schwieg.
Jetzt frage ich mich, ob das wirklich stimmt.
1981 haben Ulli und ich uns auf einer Brücke in Bozen zusammen mit vielen anderen jungen Leuten in Käfige eingeschlossen, um gegen die vom neuen Autonomiestatut vorgesehene Volkszählung zu protestieren.
Das war sieben Jahre vor seinem, nun, Arbeitsunfall – nennen wir es einmal so. Ulli war fast zwanzig, er konnte schon wählen, und auch ich würde bald volljährig werden. Jeder erwachsene Einwohner Südtirols sollte erklären, welcher Volksgruppe er angehöre: der deutschen, der ladinischen oder der italienischen. Wer diese Erklärung nicht ausfüllte, sollte an keiner Schule unterrichten, keine Sozialleistungen beantragen und nicht im öffentlichen Dienst arbeiten können. Das eigentliche Problem: Es war nicht möglich, sich als multiethnisch zu erklären. Für diese Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung hatte sich der alte Magnago so sehr eingesetzt, ausgerechnet er, der Sohn einer Deutschen und eines Italieners vertrat nun die Ansicht: »Nicht Knödel mit Spaghetti mischen«, wie er sagte. Schulen, Bibliothe ken, Behörden, Kulturinstitute, alles sollte dieser Auffassung nach getrennt werden.
Meine Mutter behauptete, sie sei überzeugt, dass dies die richtige Lösung sei.
»Eine Ehe zwischen einem Italiener und einer Deutschstämmigen kann niemals gut gehen«, behauptete sie. Damals war Vito schon acht Jahre fort.
Im Übrigen hat meine Mutter Magnago immer verehrt, seit sie ihn als kleines Mädchen auf Schloss Sigmundskron erlebte. Und unermüdlich erzählte sie davon, wie sie dem Vater der Südtiroler Autonomie in dem Hotel, in dem sie arbeitete, einmal die Hand drücken durfte. Wir Jüngeren hegten nicht so große Sympathien für ihn. Die Grünen (Verdi) hatten die Protestaktion organisiert, angeführt von Alexander Langer, einem koboldhaften Mann mit Kaninchenzähnen und großen Visionen, der sich unsere mittlerweile autonome und immer reicher werdende Heimat an ders erträumte, weniger engherzig, weniger spießig, und sich ge gen eine hinterwäldlerische Apartheid wandte. Viele brave Südtiroler hassten ihn dafür, Silvius Magnago an erster Stelle. An den beiden Käfigen auf der Talferbrücke waren Schilder angebracht. Auf dem einen stand DEUTSCHE, auf dem anderen ITALIANI. Wer vorüberging, wurde aufgefordert, sich in den Käfig mit seiner Volksgruppe einschließen zu lassen. War die Gittertür geschlossen, durfte man mit den Leuten in dem anderen Käfig nicht mehr kommunizieren. Gerade so, wie es die Chefs der SVP für die Daitschen und Walschen wünschten.
Es war ein warmer, sonniger Tag, und die aneinanderklebenden Leiber der Demonstranten im Käfig der Daitschen rochen nach Wolle und Schweiß. In dieser Situation war es, dass Ulli zu mir sagte:
»In solch einem Käfig lebe ich, seit ich auf der Welt bin.«
Ich konnte mich nicht zu ihm umdrehen, dazu war es zu eng.
»Wie meinst du das?«, fragte ich ihn.
Und er antwortete:
»Ja, seit die Hebamme zu meiner Mutter ›Es ist ein Junge‹ gesagt
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