Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
als blicke man bereits hinein in die rauen Tiefen Italiens, wo Wölfe und Briganten hausen.
Dann verschlingt uns ein Tunnel, stockdunkel und endlos lang.
Wesley, der einzige Mann, dem es gegeben war, von mir Ehemann genannt zu werden, wenn auch nur für zwei Wochen, hat behauptet, ich sei ihm wegen meines besonderen Blicks für Land schaften aufgefallen. Mag sein. Allerdings muss man wissen, dass er mich damals an einem Strand in Sri Lanka entdeckt hat, inmitten einer Schar mit Saris bekleideter Frauen, unter denen ich die einzige Blondine war, die einzige mit blauen Augen, die einzige mit fast einem Meter achtzig Körperlänge. Und die einzige im Bikini war ich auch. Ich war zweiundzwanzig, und es war der erste Tropenurlaub, den ich mir von meinem selbst verdienten Geld leisten konnte.
Aber Wesley hatte schon recht: Auf Landschaften achte ich sehr.
Ein paar Stunden nach diesem ersten Zusammentreffen gingen wir zusammen essen. Es war so ein tropischer Abend, der wie gemacht zu sein schien, zwei Besucher aus dem Westen miteinander im Bett landen zu lassen: Hummer mit Curry, von einer grazilen, in Seide gehüllten jungen Dame serviert, die Lockrufe eines Pfaus in der Ferne, die Wellen des Indischen Ozeans, dunkel, doch von phosphoreszierendem Plankton glitzernd, der Austausch von Kindheitserinnerungen. Ich erzählte Wesley, wie Ulli und ich einmal die Gesteinsmassen angebrüllt hatten, die bei einem Erdrutsch einige Jahre zuvor aus dem Hang des Berges, in dessen Schatten wir lebten, gerissen worden waren. Breitbeinig stellten wir uns an der Kante der neu entstandenen Schlucht auf, dort, wo die Fluten einen Teil der Wiese wie ein Stück von einem Krapfen abgebissen hatten, und riefen so laut wir konnten zu den Felsblöcken zu unse ren Füßen hinunter. Und die Felsen antworteten uns mit ähnlichen, jedoch nicht gleichen Stimmen, als bediene sich der Berg unserer Worte, um etwas ganz anderes auszudrücken. Aber was?
Wesley beobachtete mich, während ich davon erzählte, mit der Miene eines Goldsuchers, in dessen Sieb endlich ein Klümpchen aufleuchtet. »Du bist eine romantische Seele!«, rief er begeistert. Er war Lehrbeauftragter für englische Literatur an der Universität von Indiana und sprach wie die englischen Dichter, über die er forschte und Abhandlungen mit Titeln veröffentlichte wie Göttlicher Dung: Der Gäa-Mythos als Sehnsuchtsmotiv in der Selbstbetrachtungsliteratur des modernen Intellekts . Dass es Menschen gibt, die Essays über »göttlichen Dünger« schreiben, gehört zu den vielen Dingen, die ich nicht wusste, bevor ich Wesley traf.
Eine romantische Seele, erklärte mir Wesley, glaubt daran, dass ihr die Landschaften etwas mitteilen, etwas offenbaren wollen, was die Menschen, die sie bewohnen, entweder nicht wissen, vergessen haben oder für unwichtig halten, dass die Geografie eigentlich ein Buch ist, das in einer uns unbekannten Sprache geschrieben wurde, dessen Bedeutung sich uns jedoch eines Tages erschließt.
»Nennt die Welt, wenn ihr wollt, ›das Tal der Seelenbildung‹, dann werdet ihr auch den Sinn der Welt erkennen«, zitierte er Keats.
Ich blickte von dem Hummer auf und betrachtete die Wellen. Was hätte Keats zu diesem phosphoreszierenden Plankton gesagt? Poetisch und künstlich wirkte es wie Nachtlichtsternchen in einem Kinderzimmer.
Was Ulli und ich damals aber tatsächlich in die Landschaft riefen, um sie zu ihrer animistischen Offenbarung zu bewegen, waren allerdings größtenteils Beleidigungen von Personen, die wir nicht leiden konnten:
»Di Greti hot dreckige Untohosn!«
»Do Sigi isch an Orschloch!«
»Do Pato Christian figgt mit di Kia, und mit di Hennen aa!«
Und die Felsen bestätigten uns, dass unsere Verachtung und unser Zorn gut und gerecht waren:
Greti hat dreckige Unterhosen an ( Untohosn … hosn … hosn … ).
Sigi ist ein Arschloch ( Orschloch … schloch … loch … ).
Pater Christian fickt mit den Kühen ( mit di Kia … Kia … ) und mit den Hennen auch ( Hennen aa! ).
Aber das habe ich Wesley nicht erzählt.
In jener Nacht kam Wesley mit in meinen Bungalow am Strand und blieb drei Tage. Beim Sex war er allerdings nicht so romantisch wie seine Dichter. Er besaß den Körper eines Wasp , der seit Kindergartenzeiten Sport treibt: groß, muskulös, mit zartem blondem Flaum überzogen, ohne ein Gramm Fett, obwohl er damals schon über vierzig war. Mit seiner Athletenausdauer verschaffte er mir und sich selbst Orgasmen, die streng gleichmäßig
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