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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Er arbeitete noch an dem Bericht, als er, wenige Wochen nach jenen Ereignissen, unter nicht geklärten Umständen beim Klettern ums Leben kam. Manche behaupteten, das Seil, mit dem er sich sichern wollte, sei mutwillig beschädigt worden. Fest steht jedenfalls, dass die parlamentarische Anfrage am 25. September 1964 im Abgeordnetenhaus in Rom ohne diese Dokumentation behandelt wurde. Der Südtiroler Provinzabgeordnete hatte sie nicht mehr rechtzeitig fertigstellen können. So fiel es dem faschistischen Parlamentarier Almirante leicht, jede Erwähnung von Übergriffen der italienischen Sicherheitskräfte als Unterstel lung und Propaganda der austriacanti zu diffamieren, wie er die deutschsprachigen Südtiroler in jeder öffentlichen Verlautbarung bezeichnete.
    Zurück im Quartier, rief der Tenente Colonnello unverzüglich General De Lorenzo an und informierte ihn über den wahnsinnigen Befehl, den man ihm hatte erteilen wollen, und seine Weigerung, diesen auszuführen.
    »Ja, ich hörte schon davon, dass Sie gekniffen haben«, antwortete der General.
    Dem Oberstleutnant stellten sich die Härchen an den Unterarmen auf, als sähe er sich plötzlich einer unheimlichen Erscheinung gegenüber.
    Noch am selben Abend erhielt er die Mitteilung, dass er von seinen Aufgaben in Südtirol entbunden sei und sich unverzüglich, in den nächsten vierundzwanzig Stunden, nach Friaul zu begeben habe, um dort die Stelle des Vicecomandante der Carabinieri in Udine anzutreten. Wie bei jeder Versetzung üblich, erhielt er wieder eine Beurteilung durch seine Vorgesetzten. Bisher hatte er stets die Höchstnote »hervorragend« erhalten, wurde diesmal jedoch mit einem niederschmetternden »durch schnittlich« bedacht. Damit hatte man ihm alle weiteren Karriere chancen verbaut.

Km 715–850
    11 Uhr 28. Der Zug Rom–Reggio Calabria fährt pünktlich ab. Zu meiner Erleichterung ist es kein Hochgeschwindigkeitszug im Omnibusstil, mit mehr als hundert lärmenden, essenden und vor allem telefonierenden Personen, die stundenlang zwangsweise einen Raum teilen. Vielmehr handelt es sich um einen guten alten Fernverkehrszug mit Abteilen zu sechs Sitzplätzen, in denen man, wenn der Platz gegenüber frei bleibt, die Sitze ausziehen, sich hinlegen und die Fenster verdunkeln kann, sodass man völlig ungestört ist. Warum gibt es solche Abteile immer weniger?
    Die Mitreisenden in meinem Abteil sind zwei vielleicht zwanzigjährige Amerikanerinnen, die eine über-, die andere untergewichtig, beide in Jeans und T-Shirt, mit ausdruckslosen Gesichtern, leicht ungepflegten Haaren und gigantischen Rucksäcken in bester Interrailtradition. Einer davon, der des dickeren Mädchens, sieht besonders abgerissen aus. Er ist mit Filzstiftkritzeleien und Wappen von Städten und Ländern übersät, doch seltsamerweise reichen die Daten, die dort zu erkennen sind, von 1993 bis 1999, ein Zeitabschnitt, in dem das Mädchen höchstens zur Grundschule gegangen sein kann. Vielleicht hat ihr ein älterer Bruder, der während eines gap years die Welt bereiste, dieses Stück aus heroischen Zeiten vermacht. Und sie hat keinen Gedanken daran verschwendet, ihn reinigen zu lassen, dafür aber, als persönlichen Touch, ein rosafarbenes Stoffbärchen mit dem Kopf nach unten am Reißverschluss befestigt, das makaber wie ein Gehenkter hin und her schwingt.
    Die Schulterlinie der anderen wird von ungesund wirkenden spitzen Winkeln bestimmt, und ihre Beine sehen wie von Jeans umhüllte Zahnstocher aus. Obwohl sie so mager ist, hat sie je doch Riesenbrüste, die wie an einem Pfosten befestigte Bälle aus schauen. Vielleicht wurden sie das ja auch – später hinzugefügt, meine ich.
    Das dicke Mädchen ist noch damit beschäftigt, die Rucksäcke auf die Gepäckablage zu wuchten, und nimmt dabei mit ihrem überbordenden Hinterteil den gesamten Raum zwischen den Sitzreihen ein. Sie schnauft und stöhnt, stellt sich auf die Zehenspitzen und reckt die Arme in die Höhe, wobei unter ihren Achseln dunkle, halbkreisförmige Schweißränder sichtbar werden; ihr T-Shirt rutscht aus der tief geschnittenen Jeans und legt ihre breiten, von Dehnungsstreifen überzogenen Hüften frei. Trotz all ihrer Mühen sieht sich die Magere nicht im Geringsten veranlasst, ihr beizuspringen. Mit distanzierter Miene schaut sie der anderen zu, als warte sie nur geduldig darauf zu erfahren, ob sie es nun schafft oder scheitert. Ich stehe auf, um zu helfen, doch das fette Mädchen macht sich zwischen mir und dem

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