Eva und die 40 Maenner - Roman
herum. Hatte sie das Parfüm, das ihr Marcel zum letzten Geburtstag geschenkt hatte, absichtlich auf dem Bord stehen lassen, damit er immer an sie erinnert wurde?
Sie nahm es weg, packte es ein. Auch ohne solch mutwillige Überbleibsel würden immer noch genug Spuren von ihr bleiben, im ganzen Haus. Am liebsten hätte sie sie alle getilgt, doch dann fiel ihr Oliver ein, der das Haus ja noch wiedererkennen sollte.
Sie nahm das Bild von der Wand, das sie vor Ewigkeiten hier aufgehängt hatte: ein wunderschönes, buntes Aquarell aus Olivers Kindergartenzeit. Das würde sie mitnehmen, darauf hatte sie ein Recht.
Dann schleppte sie Taschen und Körbe nach unten. Bloß nicht zu lange verweilen. Sie warf einen raschen Blick in die Küche, ins Wohnzimmer. Während sie angestrengt überlegte, ob sie nun ihre Lieblingsbücher mitnehmen sollte und wie viele, ob sie noch Unterlagen im Arbeitszimmer hatte undwofür sie sie brauchte, speicherte ihr Gehirn alles, was neu war: eine neue Sorte Toastbrot auf der Anrichte, eine Broschüre auf dem Couchtisch, ein unbekannter Flaschenöffner.
Nichts Weibliches. Nichts Ungewöhnliches. Trotzdem tat es weh.
Eva setzte sich für einen Moment aufs Wohnzimmersofa, um sich zu sammeln. Einmal durchschnaufen, dann würde sie gehen.
Ihr Blick fiel auf den niedrigen Tisch direkt vor ihr. Dort glänzte ein kleiner, goldener Zylinder zwischen Fernsehzeitschrift und Fernbedienung. Sie beugte sich vor. Es war ein Lippenstift. Einer, den sie noch nie gesehen hatte.
Langsam hob sie ihn auf. Verwundert sah sie, wie ihre Finger zitterten, als sie ihn aufdrehte. Nur ungefähr die Hälfte war noch übrig – ein frostiges, silbriges Rosa mit einem starken Glanz. Eine Farbe, die junge Frauen trugen.
Also doch. Marcel hatte sie hierhergeholt. Er hatte sie eingeladen, sie war hier gewesen, während Oliver in der Schule war. Marcel hatte ihr das Haus gezeigt, war mit ihr nach oben gegangen und hatte sie … Nein, das wollte sie sich nicht vorstellen. Eva ließ den Lippenstift fallen wie eine heiße Kartoffel. Er kam mit einem harten Geräusch auf der Tischplatte auf und rollte dann auf den Teppich.
Sie stand vom Sofa auf. Als sie den ersten Schritt machte, stieß ihr Fuß gegen den offenen Lippenstift auf dem Boden. Ihr zweiter Schritt führte sie auf den Lippenstift. Mit ihrem ganzen Gewicht stemmte sich Eva in den Teppich. Die rote Creme verteilte sich mit einem beinahe hörbaren Schmatzen in den hellen Fasern und klebte an Evas Sohle. Sie streifte ihren Schuh säuberlich ab – sehr säuberlich – und ging dann aus dem Zimmer.
Das gesamte Gepäck hätte sie am liebsten auf einmal aufgeladen, damit sie nicht noch einmal zurückmusste. Doch das schaffte sie nicht.
Dann endlich konnte sie die Haustür abschließen und ins Auto steigen. Zu ihrer großen Erleichterung war Frau Elße verschwunden. Eva ließ den Motor an, wollte losfahren, doch es ging nicht. Irgendetwas hockte quer in ihrer Brust und machte ihr das Atmen schwer.
Sie riss sich zusammen. Wem sollte es nützen, wenn sie hier saß und heulte? Außerdem war sie eher wütend. Beides zugleich.
Plötzlich verspürte sie Sehnsucht nach ihrem Sohn. Es schien ihr schon lange her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Jetzt war es 14 Uhr. Er würde noch in der Schule sein; die Abiturienten saßen beinahe jeden Nachmittag in der Bibliothek, hatte er erzählt. Sie würde einfach hinfahren und ihn besuchen. Dann hätte dieser beschissene Tag doch noch ein versöhnliches Ende.
Kurz entschlossen fuhr sie zur Schule am Möckernpark, ihrem alten Arbeitsplatz, die für die nächsten vier Wochen auch noch Olivers Wirkungsstätte sein würde. Als sie in der Nähe des Eingangs parkte und den Motor abstellte, spürte sie erneut Unsicherheit. War das ein unbewusster Abschiedsbesuch? Den hatte sie doch längst absolviert, damals, als sie nach Berlin gezogen war …
Eva kletterte aus dem Auto und setzte sich in Bewegung. Es würde ihr guttun, ein paar Schritte zu laufen. Es war still auf dem Schulhof, an dem sie außen vorbeilief; die Nachmittags-Unterrichtsstunden hatten längst begonnen. Vermutlich würde sie keinem der alten Kollegen begegnen. Ein paar von ihnen waren merkbar angesäuert gewesen, als sie mitten im Schuljahr die Segel gestrichen hatte. Nur Katrin und Dorit kannten den Hintergrund; sie waren so etwas wie Freundinnen gewesen, die einzigen, die sie hier gehabt hatte.
Eva runzelte die Stirn und schritt schneller aus. Puh, jetzt kamen all die
Weitere Kostenlose Bücher