Eva und die Apfelfrauen
Gartenpforte, durch den Apfelgarten, über den Weg und durch die Terrassentür, die weit offen stand, ins Haus hinein und schlieÃlich in die dunkle Küche.
Eva machte Licht. Die Lampe über dem Tisch warf einen hellen Lichtkreis, während der Rest der Küche im Schatten lag.
» Ich mach uns einen Tee « , sagte Eva und setzte Wasser auf.
Lohs Blick fiel auf Evas nackte Beine und ihre roten Espadrilles, in die sie geschlüpft war, als sie ins Haus gekommen waren. Er wusste nicht mehr, wann er eine Frau so gesehen hatte. In Nachtshirt und Hausschuhen, mit verwuschelten Haaren und trotzdem auf weiche, verschlafene Weise unendlich reizvoll. Seltsam, dass er ausgerechnet in diesem Moment daran denken musste, wie lange er schon allein war.
Es war still in der Küche. Nur das Rauschen des Wassers, das zu kochen begann, war zu hören, und das Ticken der Küchenuhr, die über der Tür zur Speisekammer hing. Sie zeigte halb eins.
Loh schnupperte, als Eva zwei Becher auf den Tisch stellte. Das hier roch anders als Kamille, Pfefferminze oder schwarzer Tee. Eher wie ein Blumenbeet im Regen oder ein Obstgarten, in dem die Früchte reiften. Es war eine Sinfonie von Düften, die ihm da in die Nase stieg.
» Was ist das für ein Tee? « , fragte er, als Eva sich ihm gegenübersetzte.
» Selbstgemachter. Ich habe den Sommer über ein bisschen mit Kräutern experimentiert. Und mit Ãpfeln sowieso. Das hier sind getrocknete Apfelstückchen, Lavendelblüten und Zitronenverbene. Das Rezept kommt auch in unser Apfelbuch. «
Eva sagte nicht, was sie dazu getextet hatte: dass dieser Tee gut für die Seele war, wenn man sich niedergeschlagen und von aller Welt verlassen fühlte. Sie wärmte sich die Hände an ihrem Becher, dann trank sie.
» Deine Freundinnen sind weg. « Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Eva nickte. » Ja. Heute sind auch noch Nele und Marion weggefahren. Ich glaube, deshalb bin ich schlafgewandelt. « Sie trank noch einen Schluck. Wann half dieser Tee endlich? » Es hat sich herausgestellt, dass wir alle von etwas anderem träumen. Ich sollte das meinen Freundinnen nicht übel nehmen « , fuhr sie fort. » Sie sind ja nicht weggegangen, um mich zu kränken, sondern weil sie etwas gefunden haben, das für sie in diesem Moment wichtiger ist. « Sie ärgerte sich darüber, wie wenig überzeugend sie klang.
» Träume sind nie deckungsgleich « , sagte Loh nüchtern. » Schon was ihr euch bei einer Wohngemeinschaft vorgestellt habt, war vermutlich verschieden. «
» Ganz so war es nicht « , widersprach Eva. » Am Anfang stand eine gemeinsame Idee. Nicht allein sein, zusammen zu frühstücken, sich im Blick zu haben, den Alltag zu organisieren. Das ist doch ein geteilter Traum, oder? Naja,unser Landaufenthalt war sowieso nur auf Zeit geplant. Das wusste ich. Ein paar Wochen weniger machen nicht viel aus. Jedenfalls nicht auf die Lebenszeit gerechnet. «
» Warum bist du nicht mit den anderen zurück nach Berlin gefahren? «
Eva schenkte sich nach. » Weil ich mich hier wohler fühle als in der Stadt. Ich habe es vorher nicht gewusst, ich habe immer in Berlin gewohnt. Es wird verdammt schwer sein wegzugehen. Ich bin die Einzige von uns fünfen, die sich von ihrem Traum verabschieden muss, aber ich sollte das wohl nicht so schwernehmen. Das ist albern. « Sie strich ruhelos über den Tassenrand und sah Loh dann wieder an. » Gibt es etwas, wovon du träumst? «
Eva wusste, dass die Frage indiskret war, aber die Situation, in der sie sich befanden, war so unwirklich. Es war, als könnten sie über alles sprechen, und am nächsten Morgen wäre es aus der Erinnerung des anderen ausgelöscht.
» Ob ich einen Lebenstraum habe, meinst du? Sicher, die Musik. Ein bisschen was von der Welt sehen, mit dem Backpack durch Vietnam trampen, wäre auch ganz schön, das weiÃt du ja schon. Dass mein Hof noch ein bisschen besser läuft. Und eine Frau, die nicht wie Anja ist. «
Da war der Name wieder, den er schon einmal unachtsam hatte fallen lassen. Damals war er hastig darüber hinweggegangen, heute warf er ihn ihr wie einen Köder zuâ er wusste genau, dass sie nachfragen würde.
» Wer ist Anja? «
» Anja war meine Freundin. Wir waren seit der Schulzeit zusammen, und nach dem Tod meiner Eltern ist sie bei mir eingezogen. Es war
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