Eva und die Apfelfrauen
Die Zeit war anders. Es gab noch keine Handys. Es gab nicht mal schnurlose Telefone! « , sagte Julika und nippte an dem Yogi-Tee, den Marion gekocht und für sie alle in einer groÃen Kanne auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte. » Vom Internet ganz zu schweigen. Wir waren gezwungen, vorher zu planen. Wenn wir samstags auf eine Party gingen, haben wir es mittwochs schon gewusst. Dann blieb anständig Zeit, um sich zu überlegen, was man anzog. «
» Das braucht Mimi nicht. Sie ist immer so zurechtgemacht, als ob sie gleich auf eine Party ginge « , sagte Nele missbilligend.
» Möchtet ihr noch mal jung sein? « , fragte Marion nachdenklich.
» Ach, um Gottes willen, bloà nicht « , entfuhr es Eva. » Wir sind sowieso viel zu alt, um noch hip zu sein. Weil es nämlich alles, worauf sich junge Leute was einbilden, bereits gegeben hat. Und richtig hip kann man sich nur fühlen, wenn man etwas zum ersten Mal entdeckt. Wisst ihr nochâ sonnendurchlässige Bikinis? Miniröcke? Hatten wir alles. «
» Strickenâ hatten wir auch « , sagte Julika. » Wenn ich jetzt höre, dass es total angesagt ist, sich lange Schals zu stricken, kann ich nur lachen. Ich habe schon auf der Verwaltungsschule gestrickt. Besonders in Bilanzbuchhaltung. Anders war das überhaupt nicht auszuhalten! Und das ist fast dreiÃig Jahre her. Wir sind die lebende Renaissance. «
» Ich möchte nicht mehr so jung sein und ernsthaft glauben, dass meine Generation die Welt neu erfindet « , sinnierte Eva. » Bei Frenz & Friends war ich mal in der Kaffeeküche zusammen mit einem Praktikanten. Das Radio lief, und auf einmal fängt er an zu singen und sagt, dass dieser neue Song ultracool ist. Neu?, frage ich, was meinst du mit neu? Es war ein Remake von einem alten Supertramp-Hit! Neu! Ich bitte euch! « Sie lachte. » Aber wisst ihr, wie wir klingen? «
» Na? « Die anderen sahen sie erwartungsvoll an.
» Wir klingen alt. Mimi ist nun mal die Generation, die nach uns kommt. Wie wir früher alles gemacht haben, war nicht unbedingt besser. Es war nur anders. Zugegeben, ohne Handy konnten wir auch nicht so spontan sein. «
» Wenn du ein Baby hast, kannst du auch nicht mehr so spontan sein « , sagte Julika. » Das habe ich bei den Besuchen in Italien immer gesehen. Lollis Schwester hatte bei ihren vier Kindern die Ruhe weg, aber hat auch alles geplant. Die konnte nicht von einer Sekunde auf dieandere etwas machen, wie es ihr gerade in den Sinn kam. «
» Genau. Das wird wahrscheinlich der Grund sein, warum Mimi sich nicht entscheiden kann. Das und ihre Angst, dass sie endlich erwachsen werden muss. «
An diesem Tag hatte Dorothee es wenigstens geschafft, Mimi aus dem Bett zu locken. Doch als ihre Tochter in die Küche geschlichen kam, band sie sich nicht etwa die Schürze um, griff nicht nach einem Messer und setzte sich auch nicht an den Tisch, sondern hielt Dorothee ihre frisch lackierten blutroten Krallen unter die Nase.
» Schau mal, Mama. «
» Rot sieht immer gut aus « , sagte Dorothee anerkennend. » Aber was bedeuten diese kleinen schwarzen Punkte? «
Mimi sah enttäuscht aus. » Wo hast du denn deine Brille? «
Dorothee fuhr sich reflexartig in die Haare, aber da war sie nicht. » Wahrscheinlich im Wohnzimmer. Wieso? «
» Dann hol sie! Ich will hören, was du dazu sagst! «
» Na gut. Aber du kannst ruhig schon mal anfangen « , sagte Dorothee und zeigte auf den Apfelberg auf dem Tisch. Vor den Spannungen im Haus flüchtete sie sich lieber in die Arbeit. » Es warten rund achtzig Gläser. Wir machen heute Apfelgelee. «
Widerwillig griff Mimi nach dem Messer. » Ich will mir nicht die Nägel kaputt machen « , sagte sie bockig, fing aber trotzdem an zu schälen.
Dorothee verlieà die Küche. Sie ging ins Wohnzimmer, wo die anderen verstummten, als sie eintrat. Was nur den Schluss zulieÃ, dass sie über Mimi oder sie selbst gesprochen hatten. Dorothee schaute ungehalten in die Runde, suchte ihre Brille, fand sie, setzte sie auf und ging, ohne ein Wort zu sagen, zurück in die Küche.
» Dann zeig mal her. « Sie griff nach der Hand ihrer Tochter, an der jetzt Apfelklümpchen klebten. » Oha. Ein winzig kleiner Vogel. Niedlich. «
» Das ist kein Vogel, das ist der märkische Adler! Der aus dem Lied! Das hab ich extra für dich gemacht! «
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