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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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am nächsten Morgen wecken.
     
    Eva Magnus fror in ihrem dünnen Nachthemd. Sie wollte ins Bett, kam aber einfach nicht aus dem Sessel hoch. Es fiel ihr immer schwerer, zu tun, was getan werden mußte, sie schien die ganze Zeit daran zu denken, daß es doch verschwendete Mühe sei. Sie schrak hoch, als das Telefon klingelte, schaute auf die Uhr, es mußte ihr Vater sein, sonst rief niemand so spät noch an.
    »Ja?«
    Sie setzte sich besser zurecht. Ihre Gespräche mit dem Vater waren ihr wichtig, und oft waren sie sehr lang.
    »Eva Marie Magnus?«
    »Ja?«
    Eine fremde Stimme. Sie hatte diese Stimme noch nie gehört, das nahm sie jedenfalls an. Wer rief so spät abends an, ohne sie zu kennen?
    Sie hörte ein leichtes Klicken. Er hatte aufgelegt. Plötzlich überkam sie ein heftiges Zittern, sie starrte ängstlich aus dem Fenster und horchte. Alles war still.
    ---
    V on Ingrid hatte er eine Tube Teersalbe erhalten. Jetzt roch er vorsichtig daran, rümpfte die Nase und legte sie in die Schublade. Dann betrachtete er die Bilder auf seinem Schreibtisch, die Bilder der schönen Marie Durban und des ordinären Einarsson, der seine Kraft und Männlichkeit ebenso eingebüßt hatte wie sie ihre Unschuld. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die beiden überhaupt etwas miteinander zu tun gehabt hatten. Auch gemeinsame Bekannte waren nur schwer denkbar. Aber Eva Magnus war ein Bindeglied. Sie hatte Einarsson im Fluß gefunden und das aus irgendeinem Grund nicht gemeldet. Sie war mit Durban befreundet gewesen und hatte sie als eine der letzten lebend gesehen. Die beiden Morde waren innerhalb weniger Tage geschehen, und beide Toten wohnten auf dem Südufer, aber das mußte nichts bedeuten, die Stadt war schließlich nicht sehr groß.
    Zwei unaufgeklärte Morde brachten ihn nicht aus dem Gleichgewicht, und er fühlte sich davon auch nicht gestreßt. Eher wurde er verbissen, riß sich noch mehr zusammen, während er seine Gedanken immer wieder in logischen Reihen anordnete, immer neue Kombinationen versuchte und die verschiedenen Möglichkeiten wie kurze Filmstreifen vor sich ablaufen ließ. Er bediente sich immer großzügiger an seiner Freizeit, aber davon hatte er ja ohnehin genug. Jetzt sagte ihm seine ganze Intuition, daß zwischen beiden Toten ein Zusammenhang bestand, auch, wenn er fast keine Anhaltspunkte für diese Annahme hatte. War Einarsson vielleicht doch fremdgegangen, obwohl seine Frau das nicht für möglich hielt? Ehefrauen waren schließlich nicht allwissend. Abgesehen von Elise, dachte er, und er merkte plötzlich, daß er bei diesemGedanken errötete. Er hätte Eva Magnus herbestellen und sie richtig ausquetschen sollen, aber ohne triftigen Grund durfte er das nicht. Aber sie müßte jetzt auf der anderen Seite seines Schreibtisches sitzen, überrumpelt und unsicher, nicht wie zu Hause bei sich, sondern allein und ängstlich hier in diesem Riesengebäude, diesem grauen Riesen von Haus, der einfach jeden und jede fertigmachen konnte. Im eigenen Haus bei der eigenen Aussage zu bleiben, war nicht weiter schwer. Mein Heim ist meine Burg. Er wünschte sich eine altmodische Wäschemangel, um Eva hindurchzuschieben und zu sehen, was dabei aus ihr heraustropfte. Vielleicht schwarze und weiße Farbe, dachte er. Aber er hatte keinen Grund, sie vorzuladen, das war ja gerade das Problem. Sie hatte nichts Verbotenes getan, sie hatte nach dem Mord an Durban ihre Aussage gemacht, und er hatte ihr geglaubt. Ihr Leben sah aus wie das der meisten anderen, sie brachte ihre Tochter in den Kindergarten, sie malte, kaufte Lebensmittel ein, hatte kaum Bekannte, traf sich nicht einmal mit anderen Künstlern. Und es war nicht verboten, Rechnungen fristgerecht zu bezahlen. Er ärgerte sich, weil er sie anfangs so billig hatte davonkommen lassen. Er hatte ihr geglaubt, daß sie wirklich keine Ahnung hatte. Und vielleicht war sie Durban ja wirklich aus purem Zufall begegnet. Daß die dann am selben Abend umgebracht worden war, war bestimmt ein Schock gewesen. Und das konnte ihre Nervosität bei seinem ersten Besuch erklären. Sie hatte vor Streß und Nervosität fast gezittert. Aber wer, fragte er sich, findet im Fluß eine Leiche, zuckt mit den Schultern und geht zum Essen ins McDonald’s? Und sie hatte jetzt mehr Geld als früher. Woher hatte sie dieses Geld?
    Er zerbrach sich weiterhin den Kopf, starrte immer wieder aus dem Fenster, sah aber nur Dächer und die Wipfel der höchsten Bäume, es war eine nichtssagende Aussicht, aber auf

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