Evas Auge
wieso er schon wieder auf diesen Namen gestoßen war. Eva Magnus. Als habe die überall ihre Finger mit im Spiel. Seltsam.
»Sie heißen Sejer«, sagte der Alte plötzlich. »Das ist ein dänischer Name, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sie sind nicht zufällig in Haukervika aufgewachsen?«
»Doch«, sagte Sejer überrascht.
»Ich glaube, ich kann mich an Sie erinnern. Ein kleiner dünner Wicht, der sich dauernd kratzte.«
»Das mache ich noch immer. Wo haben Sie denn gewohnt?«
»In dem grünen Krähenschloß hinter dem Sportplatz. Eva hat dieses Haus geliebt. Sie sind inzwischen aber gewachsen.«
Sejer nickte langsam. »Ja, das bin ich wohl.«
»Ach, und was haben Sie denn hier!«
Larsgård schaute auf den Rücksitz des Autos und entdeckte den Hund.
»Meinen Hund.«
»Der ist ja vielleicht groß.«
»Doch, der ist ein ziemlicher Brocken.«
»Wie heißt er denn?«
»Kollberg.«
»Was? Das ist ja ein witziger Name. Ja, ja, Sie haben sicher Ihre Gründe. Aber sie hätten ihn mit ins Haus bringen können, finde ich.«
»Das mache ich nie. Nicht alle mögen Hunde.«
»Ich wohl. Ich hatte vor vielen Jahren selber einen. Einen Dobermann. Oder eher eine Doberfrau. Ich habe sie Dibah genannt. Eigentlich hieß sie Kyrkjebakkens Farah Dibah. Können Sie sich einen schlimmeren Namen vorstellen?«
»Ja.«
Sejer stieg in den Peugeot und ließ den Motor an. Jetzt wird der Boden unter deinen Füßen heiß, Eva, dachte er, denn in zwei Minuten hängt dein alter Vater an der Strippe, und dann hast du etwas, worüber du dir Gedanken machen kannst. Ein Mist, daß immer irgendwer in der Nähe ist, der anrufen und sie warnen kann!
»Fahren Sie langsam durch die Felder«, sagte Larsgård streng. »Es laufen so viele Tiere über die Straße.«
»Ich fahre immer langsam. Der Wagen ist schon alt.«
»Nicht so alt wie ich.«
Larsgård winkte ihm hinterher, als er losfuhr.
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E va blieb mit dem Hörer in der Hand stehen.
Er hatte den Zettel gefunden. Nach sechs Monaten hatte er den Zettel gefunden.
Die Polizei hatte Graphologen, die feststellen konnten, wer den Zettel beschrieben hatte, aber sie mußten erst Vergleichsmaterial haben, dann konnten sie jede Schlinge, alle Übergänge und Bögen, Punkte und Striche untersuchen, ein ganz persönliches Muster, das die Schreiberin mit allen Charakterzügen und neurotischen Tendenzen, vielleicht sogar mit Größe und Alter entlarvte, sie hatten das genau gelernt, sie hatten es schließlich studiert.
Sejer würde nicht lange brauchen, um von ihrem Vater zu ihr zu fahren. Sie hatte nicht viel Zeit. Sie ließ den Hörer auf die Gabel fallen und lehnte sich kurz an die Wand. Dann lief sie wie eine Schlafwandlerin durch das Zimmer und auf den Flur, wo sie ihren Mantel vom Haken riß. Sie legte ihn zusammen mit ihrer Handtasche und einer Schachtel Zigaretten auf den Eßtisch. Dann lief sie ins Badezimmer, um ihre Toilettensachen zu holen, sie packte Zahnpasta und Zahnbürste in eine Tasche und warf eine Haarbürste und eine Packung Aspirin hinterher. Rannte ins Schlafzimmer und riß Kleider aus dem Schrank, Unterhosen, T-Shirts und Socken. Dann schaute sie auf die Uhr, lief in die Küche, öffnete die Tiefkühltruhe, nahm eine Packung mit der Aufschrift »Speck« heraus, steckte die in ihre Handtasche, rannte ins Wohnzimmer, löschte die Lampen und sah nach, ob alle Fenster geschlossen waren. Das alles hatte nur wenige Minuten gedauert, sie blieb mitten im Zimmer stehen und sah sich ein letztes Mal um, sie wußte nicht, wohin, wußte nur, daß sie fortmußte. Emma konnte bei Jostein bleiben. Da ging es ihr gut, vielleicht würde sie ohnehin lieber dort wohnen. Angesichts dieser Erkenntnis fühlte Eva sich wie gelähmt. Aber sie durfte jetzt nicht herumjammern, sie ging in den Flur, zog ihren Mantel an, hängte sich die Tasche über die Schulter und öffnete die Tür. Auf der Treppe stand ein Mann und starrte sie an. Sie hatte ihn noch nie gesehen.
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S ejer fuhr mit außerordentlich gerunzelter Stirn aus dem Tunnel.
»Kollberg«, sagte er, »das ist wirklich seltsam.«
Er setzte die Sonnenbrille auf. »Warum stolpern wir bloß immer wieder über diese Frau? Was treibt die denn eigentlich?«
Er starrte hinab auf die Stadt, die nach dem Winter schmutzig und grau aussah. »Dieser Alte hatte mit dem Fall jedenfalls nichts zu tun, der ist doch mindestens achtzig, wenn nicht noch älter. Aber was in aller Welt will eine elegante Künstlerin wie sie mit einem Brauereiarbeiter mit
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