Evas Auge
wider. Jetzt stand Eva nur noch eine Kellerluke im Weg, und die war wohl offen, sie schloß sie jedenfalls nie ab, und sie ging die vier Stufen nach oben und drückte mit der Schulter gegen die Luke, als sie seine Schritte auf der Treppe hörte, er hatte begriffen, daß sie diesen Fluchtweg suchte, deshalb lief er jetzt schneller, während Eva die Schulter als Rammbock benutzte und immer wieder damit gegen die Kellerluke drückte, und die öffnete sich ein wenig, fiel dann aber gleich wieder zu, durch den Spalt sah sie, daß jemand einen Stock durch die Stahlösen auf der Außenseite gesteckt hatte, vielleicht Jostein, der war immer so praktisch. Aber wenn es ein Stock war, dann würde er brechen, früher oder später würde er brechen, und deshalb schlug sie immer wieder mit der Schulter gegen die Luke, der Spalt vergrößerte sich, ihre Schulter schien noch vor dem Stock zerbrechen zu wollen, sie wurde taub, fast gefühllos, und deshalb machte Eva weiter, und dann sah sie plötzlich auf der untersten Stufe seinen Fuß, einen hellen Mokassin, und sie erblickte in der Dunkelheit weiße Zähne. Er machte ein paar Schritte und streckte den Arm aus, und Eva rammte mit aller Kraft ihre Schulter gegen die Luke, und in diesem Momentbrach der Stock durch, und die Luke öffnete sich mit lautem Krach. Eva verlor auf der Treppe das Gleichgewicht, konnte sich aber wieder aufrappeln, schoß wie ein Projektil durch die Öffnung und peilte die Hecke an, aber dann spürte sie seine Hände um ihren Knöchel, er packte zu, er riß und zerrte sie zu sich, ihr Kinn knallte auf die Treppenstufen. Der Zementboden war eiskalt. Sie spürte ihre Schulter nicht mehr, und nun hatte sie Blut im Mund. Der Mann ließ ihren Fuß wieder los.
Eva blieb auf dem Bauch liegen. Der Mann stand breitbeinig über ihr, sie roch sein Rasierwasser, ein seltsam fremder Geruch im muffigen Keller. Ihre Gedanken jagten hin und her, sie dachte, besonders groß ist er nicht, er ist schmächtig und dünn, und die Luke steht offen. Ich habe längere Beine als er, vielleicht kann ich ihn überraschen, vielleicht kann ich ihn überraschen …
»Liegenbleiben!« fauchte er.
Sie versuchte, einen Plan zu fassen. Sie mußte sich etwas ausdenken, mußte seine Konzentration stören, ihn aus der Fassung bringen. Die Treppe zum Garten hatte vier Stufen, wenn sie die auf einmal nahm …
»Sag mir, wo du das Geld versteckt hast, dann passiert dir nichts!«
Seine Stimme klang fast tröstlich. »Wenn du mir das aber nicht erzählst, dann wird der Boden unter deinen Füßen heiß. In der ersten Runde. Später werden dann auch andere Stellen angewärmt.«
Er riß ein Streichholz an. Sie würgte die aufsteigende Übelkeit hinunter und versuchte zu berechnen, wie viele Sekunden sie brauchen würde, um aufzuspringen, aus dem Keller zu rennen, die Hecke hinter sich zu bringen und über den Rasen der Nachbarn zu laufen. Sie ging in Gedanken die Bewegungen durch, Arme und Beine anziehen, aufspringen, zwei Stufen, in die Hecke, über den Rasen, durch die Straße, Verkehr, Menschen …
»Ich höre nichts?« sagte er heiser.
»Das habe ich natürlich nicht hier«, stöhnte sie. »Hast du das denn im Ernst geglaubt?«
Er lachte leise. »Ist mir doch egal, wo das Geld ist. Wenn du mich nur hinführst.«
Was würde ihn überraschen, überlegte sie, irgend etwas Unerwartetes, vielleicht ein schriller Schrei, der Schrei, der nie aus deiner Kehle kommt, wenn du Todesängste erleidest, der im Hals stecken bleibt und dir den Atem nimmt. Ein Schrei. Vielleicht würde der ihn für zwei Sekunden lähmen, gerade lange genug, damit ich mich halbwegs aufrichten kann.
Sie hob den Kopf.
»Ja?« fragte er.
Sog Luft ein, füllte die Lunge, nahm Anlauf.
»Na, was wird?«
Das Streichholz erlosch. Und Eva schrie. Die Kellerwände warfen ihren schrillen Schrei von Raum zu Raum, sie sprang auf, holte wieder Luft, schrie noch einmal, und dann riß er sich zusammen, kam hinter ihr her, als sie gerade die vier Stufen in zwei Sprüngen hinter sich brachte, sie lief durch den Garten und drängte sich durch die Hecke, spürte, wie die an ihren Haaren riß und ihre Haut zerkratzte, hörte, daß ihr Mantel zerriß, hörte hinter sich das Keuchen des Mannes, preßte sich weiter und war plötzlich durch, lief schneller, rannte um das Haus der Nachbarn herum, durch das Tor, über die Straße, die jetzt still war, durch ein weiteres Tor, ihre langen Beine langten aus, Schmerzen und Angst gaben ihr neue
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