Eve & Adam (German Edition)
dass es aussieht wie die Leihgabe einer alten ägyptischen Mumie.
Wie geht es DEM Bein?
Heute ein wenig mumifikant, danke.
Ich hatte einen Traum, in dem DAS Bein nicht mehr an mir dranhing. Kein schöner Traum. Zwar versuchte ich, so cool zu bleiben wie ein Sonderkommando bei einem Terroreinsatz, aber ganz im Ernst und ohne Spaß: Ich hatte Angst.
»Ich brauche Aislin«, sage ich zu meiner Mutter.
»Aislin ist eine Schlampe, die zu viel trinkt«, erwidert sie, ohne von ihrem Laptop aufzusehen.
Das ist für sie diplomatisch.
Ich beschließe, das Thema zu wechseln. »An was arbeitest du gerade?«
Widerwillig reißt sie sich vom Bildschirm los. »An Fluff , einem Projekt, mit dem sich einer meiner Biochemiker profilieren will.«
»Fluff?«
»Eine Schülersoftware. Auch Projekt 88715 genannt.«
»Klingt spannend. Die Schüler werden sich darauf stürzen.«
»Hm.« Sie wendet sich wieder dem Bildschirm zu.
»Aislin ist keine Schlampe«, sagte ich. Was das Trinken angeht, widerspreche ich ihr nicht. »Sie hat seit Monaten eine feste Beziehung. Und sie ist meine Freundin. Ich vermisse sie.«
»Unterhalte dich mit deiner Masseuse.« Meine Mutter sieht Luna böse an. »Was ist denn? Los, sprechen Sie mit meiner Tochter!«
Ich sehe, wie ein Zittern durch Luna geht. Luna dürfte um die fünfzig sein, eine sehr nette Frau aus Haiti. Ich mag sie. Sie tut mir nicht so weh wie die anderen Physiotherapeuten.
Luna hat sechs Kinder. Zwei gehen aufs College, eins ist Immobilienmakler in San Rafael.
Dinge, die ich mit Luna gemeinsam habe? Keine.
»Ich will meine Freundinnen«, sage ich.
»Freundinnen im Plural?«, fragt meine Mutter schnippisch. »Seit wann hast du mehrere? Du hast eine Freundin und das ist eine besoffene Schlampe.«
»Ich bin allein. Es gibt hier nicht einmal andere Patienten. Der Einzige in meinem Alter ist Solo.«
»Du hast dich noch nicht mit ihm unterhalten, oder?«, fragt meine Mutter gespielt beiläufig. Beiläufig gehört nicht zu ihrem emotionalen Repertoire, genauso wenig wie herzlich und einfühlsam.
»Nein«, lüge ich. Warum interessiert sie das?
In Wirklichkeit sehe ich Solo seit meiner Ankunft täglich mit aufgesetzter Gleichgültigkeit an meinem Zimmer vorbeigehen. Gesagt hat er nur einmal etwas zu mir, nämlich dass er Aislin anrufen werde, damit sie sich keine Sorgen machen müsse.
Seine Augen sind beunruhigend blau.
Wider besseres Wissen frage ich: »Wer ist das überhaupt? Und warum ist er hier?«
Meine Mutter geht nicht darauf ein. Sie kann andere auf mehrere Arten ignorieren. Wenn sie so ist wie jetzt, verheimlicht sie einem etwas. Sie hält sich für unergründlich, und für ihre Untergebenen ist sie das vielleicht auch, aber ich hatte siebzehn Jahre Zeit, ihr Pokergesicht lesen zu lernen.
Bevor ich eine Antwort erzwingen kann, betritt Dr. Anderson das Zimmer. Zielstrebig wie immer, obwohl er doch gar nicht so viel zu tun hat, schließlich bin ich seine einzige Patientin.
»Wie geht’s dem Bein?«, fragt er.
» DAS Bein langweilt sich«, erwidere ich. »Es will wissen, warum es nicht nach Hause gehen und sich dort erholen kann.«
»Du bist erst seit drei Tagen hier!«, ruft meine Mutter. »Spinnst du?«
»Ich müsste dann gehen«, sagt Luna halb fragend, halb hoffnungsvoll.
»Sie bleiben«, befiehlt meine Mutter. »Beruhigen Sie meine Tochter.«
»Ich muss nicht beruhigt werden. Ich brauche Aislin. Ich brauche eine Beschäftigung.«
»Du musst Geduld haben, Evening«, belehrt mich Dr. Anderson. Er hat perfekte Zähne und die grauen Schläfen eines älteren Männermodels. »So etwas dauert Monate, nicht Tage.«
»Ich verpasse das Ende des Schuljahrs.« Selbstmitleid überkommt mich. »Ich habe Hausaufgaben und Prüfungen. Am Dienstag schreibe ich Bio! Und die Zeichnung für Kunst macht die Hälfte der Note aus.«
»Du kannst nicht zeichnen«, sagt meine Mutter. »Deine Finger sind gebrochen, dein Arm ist nicht zu gebrauchen.« Sie verstummt kurz und blättert in Gedanken durch ihre Was-Mütter-wissen-müssen-Akte.
Dann fragt sie Dr. Anderson: »Sie ist doch Rechtshänderin, oder?«
Er nickt diskret.
»Kann ich wenigstens meinen Laptop haben? Ich kann auch mit der linken Hand tippen.«
Meine Mutter blickt auf ihren eigenen Laptop.
Sie hat eine Eingebung. Man sieht förmlich eine große Glühbirne über ihrem Kopf aufleuchten.
»Ich habe die ideale Aufgabe für dich, Evening! Damit bist du beschäftigt.«
»Ich will keine Aufgabe. Ich will ein paar
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