Eve & Adam (German Edition)
die Ausstattung zu bewundern, weil ich ganz damit beschäftigt bin, den sechs Meter hohen, vom Boden bis zur Decke reichenden Monitor anzustarren. Ich habe noch nie einen so großen Bildschirm gesehen. Wie eine Kinoleinwand.
Der Monitor zeigt einen DNA -Strang, aber kein Allerweltsbild aus einem Schulbuch. Die Darstellung hat auch nichts mit dem primitiven Doppelhelix-Modell zu tun, das ich in der sechsten Klasse aus Styroporkugeln und Zahnstochern gebastelt habe.
Der Strang auf dem Bildschirm pulsiert vor Energie. Er lebt.
»Das ist das Projekt«, sagt meine Mutter. »Nummer 88715.«
»Sieht echt aus«, murmele ich.
»Nein, es ist nur eine Simulation. Du kannst die DNA sehen oder das ganze Chromosom, du kannst es aber auch weiter verkleinern …« Sie führt es mir vor, indem sie mit dem Finger über den Touchscreen fährt, der auf Rollstuhlhöhe angebracht ist. Das Bild an der Wand verändert sich. »Jetzt siehst du ein Chromosom. Und wenn du es noch kleiner machst, eine Zelle.«
Solo stellt die Bremse meines Rollstuhls fest und nimmt sich einen Stuhl. Er gähnt. Der Bildschirm scheint ihn nicht so sehr zu faszinieren wie mich.
»Das Beste ist, dass du verschiedene Benutzeroberflächen verwenden kannst.« Meine Mutter klickt auf ein Symbol. »Die hier arbeitet mit Legosteinen und ist für kleinere Kinder. Siehst du die Legoklötze, aus denen die DNA gebaut ist?«
Meine Mutter redet sich in Fahrt. Ist voll begeistert. Dabei ist dieses Projekt wirklich nichts im Vergleich zu ihrer richtigen Arbeit, der Entwicklung neuer Medikamente und Therapien.
Wenn sie an etwas arbeitet, für das sie sich begeistert, verschwindet sie für Tage, manchmal sogar für Wochen in einem Labor. Sie ist schon mehr als einmal mit verschmierter Wimperntusche, abgekauten Nägeln und übernächtigten Augen nach Hause gekommen.
Das liegt dann meist daran, dass ihr Team gescheitert ist. Aber hin und wieder, gerade ausreichend oft, liegt es auch daran, dass sie Erfolg gehabt haben.
»Du kannst einzelne Bausteine hinzufügen oder wegnehmen«, fährt meine Mutter fort. »Geh einfach auf einen drauf, dann siehst du, was er bewirkt. Du kannst dir« – wieder ein paar rasche Fingerbewegungen – »die einzelnen Elemente natürlich auch als farbige Punkte oder Mosaiksteine darstellen lassen. Und dir in einem weiteren Schritt die Auswirkungen ansehen.«
»Auswirkungen auf was?«
»Auf deinen Menschen.«
»Meinen was ?«
»Deinen Menschen.« Sie spricht es ganz deutlich aus. »Den Menschen, den du erschaffst.«
Ich beuge mich vor und DAS Bein verlagert sich ein wenig. »Du klingst, als würdest du von einem wirklichen Menschen reden.«
Sie sieht mich verwirrt an und schiebt sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Sei nicht albern. Natürlich ist das kein wirklicher Mensch. Das wäre ja illegal. Die Strafe wäre astronomisch. Die Behörden würden wahrscheinlich den kompletten Laden dichtmachen. Ich käme vielleicht sogar ins Gefängnis. Ich!«
»Ich wollte nicht …«
»Nein, nein, nein. Die Schüler sollen mit diesem Programm nur lernen …«
»… wie man Gott spielt?«
Meine Mutter schnippt mit den Fingern. »Richtig.« Ein tiefer Seufzer. »Genau das. Wir wollen Durchschnittsbürgern, also Leuten wie … wie ihm« – ihr Blick streift Solo – »ermöglichen zu verstehen, was Menschen zu Menschen macht.« Sie vollführt eine abschätzige Handbewegung und ihr Bulgari-Duft weht mir entgegen.
»Wie ihm?«, frage ich.
»Du weißt schon: jemand, der kein Wissenschaftler ist.«
»Ein gewöhnlicher Sterblicher«, schlägt Solo vor.
»Blödheit ist relativ«, sagt meine Mutter, immer noch an mich gewandt. »Und abhängig vom jeweiligen Zusammenhang. Thomas, der hauptverantwortliche Wissenschaftler dieses Projekts, hat einen IQ von 169. Trotzdem hat er sich den ganzen Körper mit lächerlichen Bildern volltätowieren lassen. Aber er ist ein äußerst begabter Wissenschaftler. Du wiederum bist gut in der Schule, vor allem in den Naturwissenschaften, aber miserabel in der Wahl deiner Freundinnen.«
»Ach Scheiße«, murmele ich.
»Wie bitte?«
»Nichts.«
Um Solos Mundwinkel zuckt ein Lächeln.
»Wie gesagt, es geht darum, Gott zu spielen«, wiederholt meine Mutter.
»Kann ich nicht lieber Portal spielen?«
»Du spielst Portal ?«, fragt Solo.
»Ja«, sage ich vorsichtig. »Hast du ein Problem damit, wenn ein Mädchen Portal spielt?«
»Ein Mädchen?« Er ist verwirrt.
»Ja. Ich bin ein Mädchen.«
»Das habe ich
Weitere Kostenlose Bücher