Eve & Adam (German Edition)
zurück.
»Ich verprügle nicht gern kleine Mädchen.«
»Mach dir keine Vorwürfe, Pete. Übe fleißig weiter, und du landest eines Tages vielleicht noch einen richtigen Treffer.«
Nach unseren üblichen Beschimpfungen verabreden wir uns für übermorgen. Pete verschwindet in Richtung Dusche, ich kehre in mein Zimmer zurück.
Meine Bleibe, meine Unterkunft, mein Zimmer. Es liegt auf Ebene vier, bei den Zimmern für Gastwissenschaftler und Honoratioren.
Einige Zimmer sind wirklich beeindruckend. Meines weniger, aber es ist trotzdem nicht schlecht.
Jedenfalls ist es eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Internat, in das Terra mich nach dem Tod meiner Eltern gesteckt hat. So eine Art Highschool für gestörte Kinder im Stil einer streng geführten Ferienranch.
Sie hieß Distant Drummer Academy. Ich war nicht gestört – es sei denn, man nennt Kinder so, die über Nacht ihre Eltern verloren haben –, aber Terra versorgte die Lehrer dort gleich mit einer schönen Diagnose von hochgradigem Trotzverhalten. Und einer saftigen Spende.
Trotzverhalten? Ja, damit konnte ich dienen.
Sie ertrugen mich gerade mal acht Tage.
Nach meinem Rausschmiss stellte Terra mich vor die Wahl: Ich konnte entweder bei ihr wohnen oder in der Biopharm.
Wir wussten beide, wie ich mich entscheiden würde.
Ich habe nur ein Zimmer, aber es ist groß genug für ein schmales Doppelbett und ein Sofa, einen Fernseher, Schreibtisch, Sitzsack und eine Miniküche. Abgesehen von den beiden gerahmten Fotos auf meinem Schreibtisch ist es so steril wie ein Hotelzimmer. Das gefällt mir.
Die Fotos nehme ich kaum noch wahr. Das eine zeigt meine Eltern auf einem Podium. Meine Mutter trägt ein grün schimmerndes Abendkleid, mein Vater einen Smoking. Sie nehmen einen Preis entgegen und lächeln breit.
Das andere Bild zeigt, wie ich mit meiner Mutter ein Buch lese. Wir sitzen auf orangefarbenen Plastikstühlen in einer Art Wartezimmer. Ich weiß nicht mehr, wo das war und warum wir dort waren. Überhaupt habe ich viel vergessen.
Neben der Miniküche liegt ein kleines Bad. Dort ziehe ich mich jetzt aus, seife mich ein und dusche.
Und denke an das Mädchen.
Das Mädchen – als würde ich ihren Namen nicht kennen. Bitte, Solo. Du kennst doch ihren Namen: Evening, für ihre Freundinnen E.V.
Eve.
Ein problematischer Name. Man sagt Eve und denkt an Eva und den Garten Eden und dann an Adam und Eva, nackt, aber mit einigen strategisch günstig platzierten Blättern bedeckt.
Nur dass in meiner Vorstellung gerade keine Blätter sind.
Wie abscheulich von mir. Eve wurde das Bein abgetrennt. Sie wurde vorhin erst operiert. Also füge ich ein paar Blätter hinzu.
Aber sie bleiben nicht, wo sie sind. Sie bewegen sich und verschwinden.
Was gar nicht nett von mir ist. Ich brause mich mit heißem Wasser ab. Vielleicht sollte ich kaltes nehmen, aber das will ich nicht.
»Genau das ist dein Problem, Alter«, sage ich zu mir selbst. »Wenn du etwas nicht willst, bist du voll der Versager.«
Ich führe öfter solche Selbstgespräche.
Sonst habe ich niemanden.
Solo ist nicht nur ein Name, sondern auch eine Beschreibung. Ich habe keine richtigen Freunde. Ich habe ein paar Online-Bekanntschaften, aber das ist nicht dasselbe.
Eine Freundin hatte ich noch nie.
Eve ist das erste Mädchen, das ich je berührt habe. Wenn man die Wissenschaftlerinnen, Technikerinnen und weiblichen Angestellten außer Acht lässt, die ich zufällig auf dem Flur gestreift habe.
»Finger weg, Alter«, sage ich leise, »sie ist eine Spiker. Sie gehört zum Feind.«
Die Mikrofone können das nicht aufnehmen, solange die Dusche läuft. Das weiß ich, auch wenn ich es nicht wissen sollte. Seit sechs Jahren lebe ich hier und atme die Luft dieses Ortes ein. Ich kenne ihn in- und auswendig.
Und ich weiß, was ich damit mache.
Sobald Eve wieder weg ist.
9
EVE
Drei kurze Tage, aber mein Gott, können die sich in die Länge ziehen.
Zeit ist relativ. Eine Stunde lang dem Trocknen einer Farbe zuzusehen, dauert viel länger, als eine Stunde massiert zu werden.
Genau das werde ich gerade. Massiert von Luna, der Physiotherapeutin.
DAS Bein rührt Luna nicht an.
In meinem Kopf ist es nur noch DAS Bein, denn mittlerweile scheint sich mein ganzes Leben darum zu drehen. Jeder Besucher fragt mich danach.
Wie geht es ihm?
DEM Bein?
Es hängt an mir dran, danke der Nachfrage. Es liegt direkt vor mir. Deutlich sichtbar und aufgedeckt, dabei ist es in so viele Schichten eingewickelt,
Weitere Kostenlose Bücher