Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
müssen. Es hätte nichts gegeben, wovor wir hätten fliehen müssen. »Worin unterscheidet sich das von dem, was du getan hast? Wie sieht die Alternative aus? Unsere Köpfe mit Lügen vollzustopfen und uns in irgendein Gebäude zu stecken, damit wir Kinder kriegen, die wir nie aufwachsen sehen werden, nie halten oder füttern oder lieben werden?«
»Ich habe Entscheidungen getroffen«, sagte er, sein Gesicht war plötzlich gerötet. Er sah zum Turm zurück und betrachtete die Soldaten an den Fernrohren. Als er weitersprach, war seine Stimme wesentlich leiser als zuvor. »Du hast nur einen kleinen Teil dieser Welt gesehen und trotzdem erlaubst du dir ein Urteil. Ich war derjenige, der die schwierigen Entscheidungen gefällt hat.« Er zeigte mit dem Finger auf seine Brust. »Du verstehst es nicht, Genevieve. Die Streuner, die in der Wildnis leben, sogar einige Menschen innerhalb dieser Mauern, sie alle sprechen nur von dem, was ich nicht getan habe. Was ich hätte tun können, wie ich es wagen kann, dieses oder jenes für die Bürger des Neuen Amerika zu entscheiden. Doch diese Welt ist nicht mehr, was sie einmal war. Überall sind Aufstände ausgebrochen. Dem Nordwesten drohten Flutwellen. Hunderte Hektar Land im Süden sind in Flammen aufgegangen. Diejenigen, die die Seuche überlebt haben, starben bei den Feuerstürmen. Sie sagen, dass sie die Wahl haben wollten – aber es gab keine Wahl. Ich tat, was ich tun musste, damit die Menschen überlebten.«
Er führte mich zum Rand der Plattform, der Wind zerrte an meinen Haaren. »Wir stellten fest, dass wir den Hoover-Staudamm und den Lake Mead beim Wiederaufbau einsetzen konnten. Wir mussten uns vor anderen Staaten schützen, die sich erholten und uns möglicherweise als verwundbar betrachteten. Wir trafen die Entscheidung, mit dem Wiederaufbau hier zu beginnen und den Strom des Dammes dazu zu nutzen.« Er deutete über die Hauptverkehrsader hinaus. »Innerhalb der ersten beiden Jahre wurde ein Krankenhaus wieder aufgebaut. Eine Schule, drei Bürogebäude und ausreichend Wohnraum für hunderttausend Menschen. Die Hotels wurden in Wohnblocks umgewandelt. Die Golfplätze in Gemüsegärten, im Folgejahr wurden drei Massentierhaltungsbetriebe hochgezogen. Die Menschen brauchen keine Angst mehr zu haben, von Tieren angefallen oder von Banden angegriffen zu werden. Falls irgendjemand die Stadt überfallen will, muss er tagelang durch die Wüste wandern und dann die Mauer überwinden. Und jeden Tag werden Verbesserungen vorgenommen. Charles Harris, unser Minister für Stadtentwicklung, hat Restaurants und Läden und Museen saniert und bringt wieder Leben in dieses Land.«
Ich ging einen Schritt von ihm weg. Es zählte nicht, wie viel Gutes er getan hatte oder wie viele Gebäude aus dem Staub hochgezogen worden waren. Seine Männer waren dieselben Männer, die Jagd auf mich gemacht hatten.
»Wir konnten eine Ölquelle und die Raffinerien wieder in Betrieb nehmen.« Er folgte mir und beugte sich zu mir herunter, um mir ins Gesicht zu sehen. »Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?«
»Und wer arbeitet in diesen Raffinerien?«, blaffte ich zurück und dachte an Caleb und die Jungen in der Höhle. »Wer hat diese Hotels umgebaut? Du hast Sklaven eingesetzt.«
Der König schüttelte den Kopf. »Sie haben Unterkunft und Essen für ihre Arbeit erhalten. Kennst du irgendjemanden, der diese Kinder bei sich zu Hause aufgenommen hätte? Die Leute konnten ihre eigenen Familien kaum ernähren. Wir haben ihnen eine Aufgabe gegeben, einen Platz in der Geschichte. Es gibt keinen Fortschritt ohne Opfer.«
»Warum maßt du dir an zu entscheiden, wen du opferst? Meinen Freundinnen hat niemand die Wahl gelassen.«
Er kam mir so nah, dass ich die blauen Sprenkel in seinen grauen Augen erkennen konnte. »Das Rennen läuft. Beinahe jedes Land auf der Welt war von der Epidemie betroffen, und sie alle versuchen, so schnell wie möglich wieder alles aufzubauen und auf die Beine zu kommen. Jeder fragt sich, wer die nächste Supermacht sein wird.« Er starrte mich durchdringend an. »Ich entscheide, weil die Zukunft dieses Landes – weil unser Leben – davon abhängt.«
»Es muss einen anderen Weg geben«, versuchte ich zaghaft. »Du hast alle gezwungen …«
»Die Menschen bekamen nach der Seuche keine Kinder mehr«, sagte er, ein leises Lachen entwischte seinen Lippen. »Ich hätte über Bevölkerungsrückgang und Statistik sprechen können, an ihre Vernunft appellieren, Anreize schaffen.
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