Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
das.«
Langsam wurde sein Gesichtsausdruck milder. Er legte mir einen Arm um die Schultern. Wir blickten von dem Aussichtsturm auf die Stadt unter uns. Ich machte mich nicht los. Stattdessen ließ ich ihn in dem Glauben, wir wären eins, dasselbe, Seite an Seite vereint. »Ich verstehe, was dich bewegt. Lass uns morgen die Parade genießen und gib uns etwas Zeit. Ich verspreche, dass ich darüber nachdenken werde.«
VIERZEHN
Das schwarze Cabrio rollte langsam die Hauptstraße hinunter, wurde schneller, hielt an – als wäre es eine verängstigte Kakerlake. Ich fuhr mit Beatrice hinter dem Wagen des Königs. Rund eine halbe Million Menschen lebte in der Stadt und fast alle schienen zur Parade gekommen zu sein. Sie streckten die Hände über die Absperrungen entlang der Straßen und jubelten und winkten uns zu. Von einem Gebäude hing ein Transparent, auf das in großen roten Buchstaben WILLKOMMEN PRINZESSIN GENEVIEVE geschrieben war.
Wir rollten vorwärts. Der Palast lag direkt vor uns, der Komplex turmhoher weißer Gebäude war nur ein paar Hundert Meter entfernt. Vor der Springbrunnenanlage war ein Marmorpodest aufgebaut, ein hölzernes Podium blickte in Richtung der größten Menschenansammlung auf der Hauptstraße. Ich dachte ununterbrochen an Caleb und die Soldaten, die ihn durch die Wildnis verfolgten. Ich hatte nicht geschlafen. Mein Kopf schmerzte, es war ein dumpfer, anhaltender Schmerz.
»Prinzessin! Prinzessin! Hier drüben!«, rief ein Mädchen. Sie konnte nicht viel älter sein als ich, ihr Haar war ein Wirrwarr schwarzer Locken. Sie hüpfte auf und ab. Doch ich sah an ihr vorbei, zu dem Mann, der ihr über die Schulter sah. Seine Haare waren so fettig, dass sie an der Stirn klebten, sein Kinn war rau, weil er sich tagelang nicht rasiert hatte.
Der Wagen rollte im Leerlauf und wartete darauf, dass der König vor den Stufen des Palastes aus seinem Fahrzeug steigen würde. Der Mann drängte sich durch die Menge. Ich umklammerte den Sitz und suchte plötzlich die Soldaten, die entlang der Paradestrecke mit erhobenen Waffen postiert waren. Der nächste stand ungefähr anderthalb Meter hinter mir, er ließ den Wagen des Königs nicht aus den Augen. Der Mann drängte sich weiter vor.
Plötzlich schnellte seine Hand in die Höhe und schleuderte einen großen grauen Stein durch die Luft. Die Zeit verging langsamer. Ich sah den Stein in einem klaren Bogen auf mich zukommen. Kurz bevor er mich getroffen hätte, machte das Cabrio einen Ruck nach vorn. Der Stein zischte an mir vorbei und prallte von der Absperrung auf der anderen Straßenseite ab, was die Menge in Panik versetzte.
»Er hat einen Stein nach ihr geworfen!«, schrie eine stämmige Frau mit blauem Schal dem Soldaten zu, als der Steinbrocken über den Asphalt rollte. »Dieser Mann hat einen Stein nach der Prinzessin geworfen!« Sie deutete auf den Mann auf der anderen Straßenseite. Er drängte sich bereits in Richtung Brachland jenseits des Stadtzentrums.
»Ist alles in Ordnung mit Euch?« Der Soldat kam auf den Wagen zugerannt, er stützte die Hand auf die Tür. Zwei andere liefen dem Mann hinterher.
»Ja«, sagte ich atemlos. Während wir uns dem Palast näherten, umringten drei Soldaten den Wagen. »Wer war er?«, fragte ich Beatrice und suchte die Menge nach weiteren aufgebrachten Gesichtern ab.
»Der König hat die Stadt zu einem großartigen Ort gemacht«, antwortete Beatrice und lächelte den Soldaten zu, die nun neben dem Wagen herliefen. »Aber es gibt immer noch ein paar, die unzufrieden sind«, sagte sie, wesentlich leiser. »Sehr unzufrieden.«
Einer der Soldaten öffnete den Wagenschlag und ließ uns vor den pompösen Marmorstufen aussteigen. Die johlende Menge übertönte meine Gedanken. Menschen beugten sich über die Absperrungen und streckten die Hände nach mir aus. Als Beatrice sich bückte, um die Schleppe meines roten Abendkleides zu ergreifen, kniete ich mich neben sie und tat, als wolle ich meinen Schuh zurechtrücken. »Wie meinen Sie das?«, fragte ich und dachte an das, was der König über die Menschen gesagt hatte, die mit seinen Entscheidungen nicht zufrieden waren. Sie blickte schnell zu dem Soldaten auf, der nur wenige Meter entfernt stand und darauf wartete, mich zu meinem Platz zu geleiten. »Sind Sie unzufrieden hier?«, flüsterte ich.
Beatrice ließ ein unbehagliches Lachen hören, ihr Blick wanderte wieder zu dem Soldaten. »Die Menschen warten auf Euch, Prinzessin«, sagte sie. »Wir sollten gehen.«
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