Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
gezwungen, Ja zu sagen.«
Ich starrte auf meinen Schatten auf dem Boden und rang mit mir, was ich ihr sagen sollte. Sie hatte sowieso schon genug gegen mich in der Hand. Die Wahrheit konnte es auch nicht mehr schlimmer machen. »Weil sie ihn sonst getötet hätten – Caleb. Ich konnte es nur verhindern, indem ich eingewilligt habe, Charles zu heiraten.«
Clara kam mit schief gelegtem Kopf auf mich zu. »Hilf mir auf die Sprünge. Du würdest den Palast auf der Stelle verlassen, wenn du könntest?«
»Natürlich«, sagte ich leise. »Aber ich komme ja nicht mal aus meinem Zimmer heraus. Überall, wo ich hingehe, werde ich überwacht. Sobald ich auf den Gang trete, wartet dort Beatrice mit dem Soldaten neben dem Salon. Charles begleitet mich zu jeder Mahlzeit.« Ich sah auf ihr Fenster, das einen Spalt offen stand, die Vorhänge bauschten sich im Wind. »Ist dir noch nicht aufgefallen, dass ich nie allein bin?«
Wir standen uns in dem stillen Raum gegenüber. Ich richtete mich auf, mir wurde klar, dass ich ihr doch etwas zu bieten hatte. »Wenn du also Charles von dieser Nachricht erzählen möchtest«, fuhr ich fort, »oder dem König, oder deiner Mutter – nur zu. Ich werde Charles in einer Woche heiraten und dann ist die Sache gelaufen. Doch wenn du willst, dass ich verschwinde, sind diese Geheimbotschaften meine einzige Chance.«
Ich konnte sehen, dass sie überlegte, wie sie das, was sie gewinnen konnte, wenn sie mich verriet, gegen das abwog, was passieren würde, wenn mir die Flucht gelang. Sie schürzte die Lippen. »Du liebst Charles also nicht?«, fragte sie. Ihr Blick war offen, als sie mich ansah, die Abneigung schien nachgelassen zu haben.
»Nein«, sagte ich. »Ich liebe ihn nicht.«
Sie ging zu dem Porzellansparschwein auf ihrem Nachttisch. Die Farbe war an einigen Stellen abgesprungen und ein Auge so gut wie abgerieben. Sie hielt es in die Höhe, ihre Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Das habe ich, seit ich drei bin.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nicht ohne es in die Stadt ziehen.« Sie stellte das Schwein auf den Kopf und zog ein Stück Korken aus der Unterseite.
Darin war der herausgerissene Zeitungsartikel mit meinem Gekritzel am Rand. Sie gab ihn mir zurück. »Dann hast du mein Versprechen. Ich werde niemandem etwas sagen.«
Ich riss das Viereck in möglichst kleine Schnipsel und stopfte sie in die Tasche meines Trägerkleids. Sie hatte ihn mir zurückgegeben. Sie hatte versprochen, nichts zu verraten. Und sie hatte auch keinen Anlass dazu – schließlich wäre es die Garantie, dass ich den Palast niemals verlassen könnte. Sie öffnete mir die Tür, ich lief den Gang hinunter, drehte die Schnipsel in meiner Tasche und konnte endlich wieder atmen.
FÜNFUNDDREISSIG
An diesem Abend bekam ich keinen Bissen herunter. Ich saß am Esstisch und dachte an Caleb im Gefängnis. Ich sah die Platzwunde auf seiner Stirn, einen Soldaten, der ihm noch einen Schlag auf den Rücken verpasste und seinen Arm so verdrehte, dass er das Schulterblatt berührte. Sie würden Namen verlangen. Da war ich mir sicher. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie aufgaben, weil ihnen klar wurde, dass er ihnen niemals die Informationen liefern würde, die sie brauchten. Wie viel Zeit blieb mir, bevor sie ihn umbrachten?
»Was hast du denn, meine Liebe?«, fragte der König und sah auf meinen Teller. »Hättest du lieber etwas anderes gehabt? Wir können dir vom Koch alles zubereiten lassen, was du möchtest.« Er legte mir die Hand auf den Arm. Bei seiner Berührung verspannte sich mein ganzer Körper.
Ich holte tief Luft und versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ich bin nicht hungrig«, sagte ich nur. Das Brathühnchen auf meinem Teller widerte mich an.
Der Tisch war voll besetzt. Clara und Rose saßen neben dem Finanzminister. Clara plauderte nun fröhlich mit ihm, ihr Blick begegnete meinem, als sie ihn mit Fragen zu einem neuen Unternehmen bombardierte. Charles saß neben mir und sprach mit Reginald, dem Pressesprecher, über eine bevorstehende Eröffnung in der Stadt.
»Es freut mich, dass ihr beide euch so gut versteht.« Der König deutete mit einem Kopfnicken in Charles’ Richtung. »Das habe ich mir immer gedacht.« Er drückte meinen Arm, dann wendete er sich wieder seinem Teller zu.
Ich hatte plötzlich den Drang, ihm mein Wasserglas ins Gesicht zu schütten. Meine Gabel in die weiche Haut seiner Hand zu rammen. Er hatte gelogen. Er glaubte, ich würde es
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