Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
hast du im Palast gelebt.«
Ruby legte ihre Hand auf die von Pip und flüsterte ihr etwas zu, so leise, dass ich es nicht verstehen konnte. »Was glaubt ihr, warum ich hier bin?«, fragte ich. »Ich bin aus der Stadt geflohen. Wenn wir geschnappt werden, wird man mich töten. Ich mag vielleicht im Palast gelebt haben, aber es ist nicht so, als hätte ich alles vergessen, was davor war.«
Hinter uns standen Clara und Beatrice auf und begannen, die Schüsseln aufzusammeln, die auf dem Boden verstreut waren. »Jetzt richten wir uns erst mal in unseren Zimmern ein – ihr könntet alle ein wenig Erholung vertragen«, sagte Clara. Sie schlang den Arm um Helene und half ihr auf. Langsam zerstreuten sich die Mädchen in den angrenzenden Tunneln, wobei sie uns nicht aus den Augen ließen.
»Warum hast du sie hergebracht?«, fragte Ruby. »Was soll das Ganze?«
Ich versuchte durchzuatmen. »Wir gehen nach Califia. Arden hat euch doch sicher von der Siedlung auf der anderen Seite der Brücke erzählt.«
»Das Lager der Frauen.« Ruby nickte. Das Feuer brannte bis auf die letzten geschwärzten Scheite runter und im Zimmer wurde es kälter. »Sie sagte, du hättest von dort verschwinden müssen, weil es nicht mehr sicher war.«
»Das ist der sicherste Ort, den wir haben – vielleicht der einzige Ort«, antwortete ich. »Vor allem für die Mädchen. Einige der Frauen dort sind Ärztinnen. Es gibt Hebammen, die bei der Geburt helfen können. Ich kann Unterkünfte für uns alle errichten.«
Pip musterte mich. »Wann geht ihr?«
Dieses Wort, ihr – nicht wir –, ließ mich einen Augenblick verstummen. »In einer Woche, vielleicht auch früher. Wir hoffen, dass die Jungs zumindest ein paar Pferde zurückgelassen haben. Wir könnten die Strecke in weniger als vier Tagen schaffen, wenn wir dorthin reiten würden. Ich möchte, dass ihr beide mitkommt.«
Ruby stand auf und zog sich den Schal über die Schultern. »Das ist eine lange Reise.«
»Vielleicht geht es auch schneller«, entgegnete ich. »Wichtig ist, dass wir sobald wie möglich aufbrechen. Die Armee sucht nach uns und das hier sollte nur ein Halt auf unserem Weg sein.«
»Benny und Silas«, warf Pip ein. »Wir können sie nicht einfach hierlassen.«
»Das werden wir auch nicht.« Instinktiv griff ich nach ihrer Hand, aber sie verkrampfte bei meiner Berührung. Ich hielt ihre Hand noch einen Moment fest, dann ließ ich sie los. »Wir nehmen sie mit und bestehen darauf, dass sie bei uns bleiben dürfen. Sie sind noch klein – sie sind keine Bedrohung.«
Doch Pip schüttelte nur weiter den Kopf. Sie stand auf und klopfte sich den Schmutz von der Hose. »Ich kann nicht«, sagte sie leise. »Ich werde es auch nicht tun. Wir sind hier sicher. Alles war prima, bis du gekommen bist.« Sie drehte sich um, zog ihren Pullover fester um sich und stapfte durch einen der Tunnel am anderen Ende des Raums.
Ich erhob mich, wobei ich mich fühlte, als hätte sie mich gerade geohrfeigt. »Ich nehme an, du bleibst ebenfalls hier?«, fragte ich Ruby, während ich versuchte, meine Stimme am Zittern zu hindern. Sie hatte mich in der Schule so viele Male weinen sehen, hatte mich gehalten, als wir über die Epidemie gesprochen hatten und darüber, wie meine Mutter ausgesehen hatte, bevor sie gestorben war. Es wäre für keine von uns neu gewesen und doch erschien sie mir nach so vielen Monaten, in denen wir getrennt gewesen waren, wie eine Fremde. Selbst ihr Gesicht, die vollen Wangen und die großen, tief liegenden Augen, musste ich erst wieder kennenlernen.
»Ich kann sie nicht einfach zurücklassen.« Ruby strich sich das dicke schwarze Haar aus dem Gesicht. »Wir können hierbleiben. Wir sind ganz gut allein zurechtgekommen.« Sie presste die Lippen aufeinander, als gäbe es weiter nichts zu sagen.
Sie schob sich an mir vorbei und ging Pip hinterher. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß, dass es jetzt keine Rolle mehr spielt. Aber wenn ich könnte, würde ich vieles ändern.«
Ruby blickte nicht zurück. Sie griff nach Pips Arm und zog sie eng an sich. Ich blieb allein zurück und lauschte dem Flüstern der Mädchen, dann dem weit entfernten Plätschern von Wasser, als Beatrice die Eimer nach draußen brachte, während Silas und Benny hinter ihr hertrotteten.
Ich sah ihnen nach, wie sie in ihrem gemeinsamen Zimmer verschwanden.
DREIUNDZWANZIG
In den frühen Morgenstunden war es still am Strand. Clara begann mit der Wäsche, indem sie die Kleider ins kalte Wasser
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