Everlasting
Berlin», verkündete er und übergab ihr stolz seine Beute. Dann zeigte er Rouge die Kaugummipackung.
«Oh», sagte sie und nahm sie in die Hand. Sie inspizierte die Packung, las den Aufdruck, schnupperte daran, rümpfte die Nase und gab sie Finn zurück.
«Wollen wir sie aufmachen?», fragte er, doch da hupte rechts von ihm laut ein Auto. Finn fuhr herum. «Wo sind wir eigentlich?»
«Wir stehen an der Ecke Kurfürstendamm und Schlüterstraße», sagte Rouge. «Was genau ist ein Kaugummi eigentlich?»
Finn zuckte die Achseln. «Man kann Blasen damit machen, wenn man es kaut. Eliana hat es von einer Freundin zum Geburtstag bekommen. Vielleicht machen wir es später auf? Nach dem Mittagessen? Zum Nachtisch?» Er schob die Packung in die Brusttasche seiner Jacke und öffnete den Stadtplan.
Finn hatte im Rahmen seiner Arbeit gelegentlich mit Stadtplänen zu tun gehabt und ging davon aus, dass auch dieser Stadtplan, falls «Projekt Zeit» wirklich bis ins kleinste Detail präzise war, ein Straßenverzeichnis enthielt.
Und tatsächlich. Ganz hinten fand er den Boulevard «Kurfürstendamm» im Verzeichnis. Aber dieser Plan war gefaltet wie ein Akkordeon, nicht nur senkrecht, sondern auch waagerecht. Man konnte ihn lesen wie ein Buch, die Seiten entlang der Ost-West-Achse umblättern oder sie nach unten und nach oben aufziehen, um die Nord-Süd-Achse einzusehen. Laut Index lag der Kurfürstendamm im Quadrat KL11, aber KL befand sich genau auf der Schnittstelle zwischen zwei Falten. Finn musste die einzelnen Klappen rauf- und runterblättern, einmal, zweimal, dreimal und dann zweimal quer, eins, zw–, nein! – einmal zurück.Aber 11 konnte er nicht finden, also blätterte er nach unten, doch dann entfaltete sich der ganze Plan aus Versehen in einem Rutsch –
blopp-blopp-blopp
. Rouge und Finn wollten das verfluchte Teil, das sich einfach nicht wieder zusammenfalten ließ, schon wegwerfen, als Finn in dem Gewirr von Straßennamen auf dem Plan einer ins Auge sprang, den er kannte. «Kantstraße!», rief er. «Da ist die Kantstraße! Das ist hier ganz in der Nähe! Nur ein paar Querstraßen weiter.» Er zeigte Rouge aufgeregt eine lange Straße, die die Westhälfte der Stadt durchtrennte. «Da müssen wir hin!»
Die Kantstraße war nicht schön, praktisch baumlos und von grauen, tristen Mietshäusern gesäumt. Aber das Viertel machte einen lebendigen Eindruck mit den vielen kleinen Läden, die einiges fürs Auge boten: ein Chinarestaurant mit toten Enten in den Schaufenstern, ein Videoverleih mit sage und schreibe Tausenden Zelluloids auf Disks; ein Manikürecenter, wo sich Frauen neue Nägel auf die alten kleben lassen konnten. «Sachen gibt’s …», bemerkte Rouge und verbesserte sich sofort: «Sachen gab’s …».
Finn fiel aus allen Wolken, als er das Gebäude entdeckte, in dem in seiner Welt das Fahrzeugmuseum auf der KF Z-Straße untergebracht war. Hatte die KF Z-Straße etwa früher Kantstraße geheißen? Im Erdgeschoss des mit Graffiti besprühten Gebäudes befand sich eine Tankstelle mit Automobilwerkstatt, und die Stockwerke darüber dienten als Parkdecks. Auf einem Schild mit fehlenden Buchstaben stand die Aufschrift KA T GAR G N. Finn fragte sich, ob dieser in seiner Zeit durchaus bekannte Bau im Jahr 2004 tatsächlich so ausgesehen hatte.
Doch die verblüffendste Entdeckung war ein Geschäft, das Importe aus Asien anbot: vietnamesische Lampions, kambodschanische Schlappen, fernöstlichen Schmuck, Kitsch aus Hongkong, japanische Kimonos und chinesische Seidentaschen in allen Größen. Der Laden war vollgestopft mit Waren, überall türmten sich die Dinge, selbst der Bürgersteig musste als Ausstellungsfläche herhalten. Zwischen all dem kunterbunten Durcheinander erspähte Finn zu seinem großen Erstaunen exakt so ein Täschchen, wie Eliana es an ihrem dreizehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte: pink und blau und rot mit aufgestickten Pagoden und Kirschblüten.
In dem Moment, als sein Blick auf das bestickte Täschchen fiel, begriff Finn, wie «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» funktionieren musste: Ganz offensichtlich, waren seine Gedanken der Stoff, aus dem sich das Spiel entwickelte, so wie in einem Traum das Unterbewusstsein des Träumers Bilder heraufbeschwor und Geschichten daraus machte. Seine Phantasie hatte das Täschchen erschaffen, die Kantstraße, Hubba Bubba und sogar das Datum – 24. April 2004.
Aber wie konnte dann Rouge, Spieler Nummer 2, das Spiel
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