Everlasting
Ausstiegspunkt sein.»
Das war leichter gesagt als getan. Das Angebot an Obst und Gemüse auf dem Markt war zwar groß, doch die meisten Imbissstände boten nur Fleisch an – Würstchen, Hamburger und Schweinerippen –, worauf Finn und Rouge keinen Appetit hatten. Wie die meisten Europäer ihrer Zeit ernährten sie sich überwiegend vegetarisch und aßen höchstens gelegentlich Fisch. Sie wollten die Suche schon aufgeben, sich etwas Brot und Käse kaufen und zu einem Stand zurückgehen, wo sie selbstgemachte Marmelade probiert hatten, als sie eine Männerstimme hörten, die laut rief: «Habibi. Einen Chai?»
Der Mann, mit Nickelbrille und langem lockigem Haar, stand in einem orangefarbenen Marktwagen. Auf einem Schild über der Theke prangte in gelben Lettern «Hammurabi Falafel».
«Na, das ist doch eine gute Idee», sagte Finn. «Frittierte Kichererbsenbällchen.»
Finn entschied sich für Falafel mit Sesamsoße, Rouge nahm eine mit scharfem Mango-Dip. Dazu tranken sie Chai. Der überaus freundliche Verkäufer begrüßte jedenzweiten Vorübergehenden mit «Habibi, mein lieber Freund» und wurde herzlich zurückgegrüßt. Als sie mit dem Essen fertig waren, versprach Finn ihm spontan, wiederzukommen.
«Bekanntschaft Nummer eins, vermutlich arabischer Herkunft», sagte Finn zufrieden, als sie den Markt verließen und sich auf den Weg zur Wilmersdorfer Straße und ihrem Ausstiegspunkt machten.
«Hör mal, Finn, da ist etwas, was diese Mitspielerin irritiert. Sie hat andere Frauen auf der Straße und hier auf dem Markt beobachtet. Keine trägt eine Lederjacke mit Schulterpolstern. Hast du irgendwo so eine Jacke gesehen?»
«Eigentlich nicht.»
«Eben. Diese Mitspielerin vermutet, dass wir unmodisch gekleidet sind.»
«Du machst dir Gedanken über Mode?», stöhnte Finn.
«Das könnte sich nachteilig für uns auswirken.»
«So ein Unsinn! Es ist bloß ein Spiel.»
«Aber ein extrem heikles und potenziell gefährliches Spiel.»
Finn hatte Wichtigeres im Kopf. Er musste noch eine weitere Bekanntschaft schließen. Sie gingen die Pestalozzistraße entlang, und als sie die City Toilette in der Fußgängerzone auf der Wilmersdorfer Straße passierten, blieben ihnen noch 55 Minuten für diese Aufgabe. Finn schaute in Richtung Kantstraße, dann zur Goethestraße. Der buddhistische Mönch war wieder da und sang, aber Finn wollte ihn lieber nicht in seiner Meditation stören.
«Die Baustelle ist jetzt weg», stellte Rouge fest. «Da drüben.»
Ein paar Schritte in Richtung Goethestraße stand jetztein neues Gebäude mit einer fünfstöckigen Glasfassade. Es beherbergte ein Optikergeschäft. Gleich nebenan war –
«Ein Buchladen!», rief Finn. Und im selben Moment fiel sein Blick auf den Namen des Geschäftes, der in großen Lettern über dem Eingang prangte: DUSENHUBER.
Niemals hätte Finn sich einen Buchladen so vorgestellt. In der Schule hatten sie gelernt, dass Bücher um die Millennium-Wende an Bedeutung verloren hatten. Aber hier wimmelte es nur so vor Kunden. Und vor Büchern. Sie waren einfach überall. In Regalen, stapelweise auf Tischen, in den Schaufenstern, an den Kassen. Geschenkbücher. Bilderbücher. Fotobände. Reisebücher. Kochbücher. Und eine Rolltreppe brachte die Kunden höher und höher hinauf zu noch mehr Büchern. Erstaunlicherweise hatte der Laden nicht den dumpfen, modrigen Geruch, den er aus Bibliotheken kannte. Er roch völlig anders, nach … nach was? Er roch nach …
neuem
Papier – wie die Forester-Buchläden. Es war –
Finns Gedanken brachen jäh ab. Was war da noch für ein Geruch? Das war doch –
Finn fuhr herum. Hinter ihm auf der Rolltreppe stand ein Mann, der ein Baby in einem Tuch vor der Brust trug. Nein, von ihm ging es nicht aus. Es kam von weiter oben. Finn stieg die Rolltreppe hoch, schob sich an Rouge vorbei und folgte dem Duft. Ja. Hier oben war er stärker. Es roch nach –
Seine Augen suchten hektisch die erste Etage des Ladens ab. Sie erstreckte sich über schätzungsweise 500 Quadratmeter.
«Finn?», fragte Rouge. «Alles in Ordnung?»
Aber er hörte sie kaum. Er folgte dem Duft. Dem Geruch von … Parfüm. Von Everlasting.
Er kam an einer Auslage mit Romanen vorbei, einem Regal mit Krimis, noch einem mit Klassikern, wieder einem anderen mit –
Und da war sie.
Sie stand nur wenige Meter entfernt vor einem Regal mit englischsprachigen Büchern. Sie war anders, als er erwartet hatte, und der Geruch war nur noch schwach
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