Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Everlasting

Everlasting

Titel: Everlasting Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly-Jane Rahlens
Vom Netzwerk:
sein.
     
    In der Kapelle war es brechend voll. Alle Holzbänke waren von der ersten bis zur letzten Reihe besetzt, und dahinter drängte sich ein Pulk weiterer Trauergäste. Die wenigen Kapellen, die bis in Finns Zeit überlebt hatten, standen unter Denkmalschutz, und Finn konnte sich nicht erinnern, je eine betreten zu haben. Ihr Goldenes Zeitalter des Pragmatismus ließ wenig Raum für Gott, und obwohl es nach wie vor gläubige Männer und Frauen gab, dienten sie ihrem Glauben in aller Stille.
    Eine etwa vierzigjährige Frau in einem schlichten Kleid sprach gerade von der Kanzel. Der Innenraum war dunkel, nur wenig Licht kam durch die kleinen Fenster, undes war hier deutlich kühler als draußen. Dennoch war die Luft schwer vom süßlichen Geruch zu vieler Blumen und beladen von der Wucht des geballten Schmerzes der Trauernden, ein derart monströser Schmerz, dass Finn all seine Energie aufbieten musste, um sich gegen ihn zu schützen. Mit jedem Schluchzen der Anwesenden brach aber ein Stück von seinem Schutzwall weg.
    Finn nahm die Worte der Frau kaum wahr, bis er merkte, dass sie zum Ende kam. Ihre Stimme war tränenerstickt. «Madeline war ein wunderbares Kind und eine gute Freundin für ihre Klassenkameraden», sagte sie. Ihr Mund zuckte unter der Anstrengung, ohne Tränen durch die Rede zu kommen. «Madelines leerer Platz in unserer Klasse wird uns immer an ihre Fröhlichkeit und ihre Großherzigkeit erinnern. Wir werden sie nie vergessen.» Die Frau, anscheinend Madelines Lehrerin, stolperte fast, als sie die Kanzel verließ, und setzte sich zu ihren Schülern.
    Und auf einmal ertönte wie aus dem Nichts Musik. Die Trauergemeinde erhob sich und wandte sich dem Mittelgang zu, wo Finn jetzt Elianas Mutter erkannte, die an der Seite ihres Mannes den Gang heraufkam. Er war groß, hatte volles graues Haar und hielt sich so kerzengerade, als ob er unter der Anzugjacke ein Brett versteckte.
    Dann kam Eliana in Begleitung eines dunkelhaarigen Jungen. Robert, vermutete Finn. Eliana war gewachsen – natürlich. Sie war kein Kind mehr. Aber sie war auch noch keine Frau. Anscheinend gefasst, schritt sie an den Trauernden vorbei. Doch dann sah er, dass sie ihre Augen starr auf einen Punkt irgendwo vor ihr gerichtet hielt, als hätte sie Angst davor, irgendjemandem in die Augen zu schauen, so verletzlich erschien sie ihm.
    Die Musik erfüllte den Raum. Finn erkannte Bachs Airaus der Orchestersuite Nr.   3.   Er hatte es öfter gehört, aber noch nie so. Noch nie mit solcher Hingabe, so klagend, so mit der ganzen Wucht einer Trauergemeinde, die es mit ihrem Schmerz verwob.
    Und in dem Moment, in dem er begriff, dass dieser Schmerz sich nicht aufhalten ließ, löste sich etwas in ihm und er ergab sich. Die Musik drang in ihn ein, und auf einmal wusste er, dass er vielleicht hierhergekommen war, um seine eigenen Toten zu betrauern.
     
    Es war heiß, sein Kopf pochte, sein Gesicht, seine Krawatte, alles, war feucht von seinen Tränen. Finn hatte eine Steinbank abseits des Weges entdeckt, und da saß er nun.
    Allein.
    Für immer allein.
    Es drang ein. Sie waren tot. Alle vier tot.
    Er würde nie mehr hören, wie seine Mutter aus einem Buch vorlas, oder mit seinem Vater eine Partie Slapback spielen. Er würde nie wieder mit Mannu am Strand Steine übers Wasser hüpfen lassen oder Lulu zusehen, wie sie hinter einer flüchtenden Libelle herlief.
    Sie waren tot.
    Und er vermisste sie.
    Er weinte. Vögel flatterten von Baum zu Grabstein zu Hecke, Fliegen summten an seinem Ohr vorbei, und die Sonne brannte erbarmungslos auf ihn nieder. Er hörte dumpfe Stimmen und knirschende Schritte jenseits der Bäume. Und schwer wie die stickige, heiße Juniluft lastete die schreckliche Frage auf ihm: Was würde er jetzt machen, nun, da er allein war?
    Er saß da, trauerte   … bis das Glissando einer Harfe an sein Ohr drang. Oder bildete er sich das ein? Er schautesich suchend um und bemerkte endlich ein blinkendes Licht in seiner Jackentasche. Ah! – sein Mobiltelefon.
    «Hallo?», sagte er und hoffte, ein Engel wäre am anderen Ende, Madeline oder vielleicht sogar seine eigene Schwester Lulu.
    «Finn, wenn du den Weg runterschaust, siehst du eine Freundin.»
    Finn blickte den Weg hinunter. Ganz weit entfernt stand Rouge. Sie winkte.
    «Du solltest der Familie dein Beileid aussprechen», sagte sie. «Es wird Zeit.»
     
    Die Familie Lorenz stand im Schatten einer Eiche, die Trauergäste hatten sich in einer Schlange aufgestellt, um zu

Weitere Kostenlose Bücher