Everlasting
kondolieren. Finn und Rouge reihten sich hinter zwei jungen Männern ein. Jüngere Kinder, Madelines Klassenkameraden, stellten sich hinter sie.
«Frau Martin hat gesagt, sie ist eingeäschert worden», flüsterte ein Mädchen.
«Ja», gab ihre Freundin zurück. «Ihr ganzer Körper passt in diese … diese kleine Vase.»
«Urne. Frau Martin hat Urne gesagt. Sie kommt unter den Baum, wo die Wurzeln sind.»
«Gruselig.»
Weiter vorne sah Finn, wie die Trauergäste zu dem Baum gingen, Blumen auf ein kleines Loch warfen und dann zuerst Madelines Mutter umarmten oder ihr die Hand schüttelten und sich dann ihrem Vater zuwandten, dann Robert, dann Eliana.
«Wir haben keine Blumen», sagte Finn zu Rouge.
«Ist egal.»
Finn raste das Herz. Er hatte Angst, dass Eliana ihnnicht erkennen würde. Oder sie würde ihn erkennen, aber es wäre ihr egal. Oder er würde nicht wissen, was er sagen sollte. Oder –
Sie waren jetzt an der Reihe, ans Grab zu treten. Rouge und Finn gingen gemeinsam. Das Loch war schmal, die Urne unter der Schicht Blumen kaum zu sehen.
Finn reichte der Mutter die Hand. «Unser Beileid», sagte er. Sie sah zu ihm hoch, nickte, ohne ihn zu erkennen. Sie schüttelte Rouge die Hand, nickte kurz, warf einen Blick auf ihre roten Locken und wollte sich schon dem Nächsten in der Schlange zuwenden, als etwas in ihren Augen aufflackerte. Sie wandte sich zu Finn um und ergriff noch einmal seine Hand. «Danke», sagte sie. Finn nickte, wandte sich dann Madelines Vater zu, doch der stand gerade mit dem Rücken zu Finn und sprach mit jemand anderem. Also trat er zu Robert, der ihm die Hand drückte, ohne ihn anzusehen. Und dann stand er vor Eliana. Sie schaute zu ihm hoch.
Eine schreckliche Sekunde der Ungewissheit verstrich.
«Finn?», sagte sie dann. In ihrer Stimme lag ein Hauch Überraschung, Wärme und … Staunen. «Finn.»
Sie konnte sich an ihn erinnern! Finn spürte, wie ihm das Blut in die Ohren schoss. Einen Moment lang hörte er nichts mehr als sein Rauschen.
Eliana hielt noch immer seine Hand. «Du bist gekommen», sagte sie nur.
Ihre Augen waren noch dunkler, als er sie in Erinnerung hatte, ihr Haar noch goldener.
Eliana warf einen Blick zum Ende der Reihe von Trauergästen. «Kannst du noch bleiben?», fragte sie. «Wir sind fast fertig.»
Eliana organisierte eine Mitfahrgelegenheit für Finn und Rouge. Die beiden jungen Männer, die vor ihnen in der Schlange gestanden hatten, Freunde von Robert, nahmen sie mit zurück in die Stadt. Leopold, der Fahrer, und Philipp, der Jüngere von beiden, unterhielten sich über die bevorstehenden Schulferien.
Eliana hatte Finn und Rouge in die Wohnung der Familie eingeladen. Sie hatten dankend abgelehnt. Es stand ihnen nicht zu, fanden sie, bei diesem traurigen und privaten Anlass dabei zu sein. Und obwohl Elianas Mutter Angelika sehr freundlich zu ihnen war, spürten sie doch, dass sie sie nicht unbedingt dabeihaben wollte. Elianas Vater Rudi hatten sie gar nicht zu Gesicht bekommen. Doch Eliana hatte auf ihrer Einladung bestanden. «Ihr habt extra so einen weiten Weg auf euch genommen», hatte sie gesagt. «Ihr müsst einfach kommen.»
Was sie wohl gesagt hätte, wenn sie gewusst hätte, wie weit der Weg tatsächlich war?
«Außerdem», hatte Eliana zu Finn gesagt, «muss ich dir etwas zeigen.»
Finn und Rouge sprachen kaum auf der Fahrt in die Stadt. Leopolds Fahrkünste machten sie nervös, und sie wagten es nicht, den Blick von der Straße zu wenden. Und dann dieses Fahrzeug, dieses Automobil, das man manuell steuern musste! Und es stank grauenvoll nach fossilem Brennstoff.
«He, ich hab Shit dabei, wollt ihr auch?», fragte Philipp, der Jüngere, und riss Finn damit aus seinen Gedanken.
«Shit?», fragte Finn. Wieso um alles in der Welt bot ihm dieser Junge etwas derart Abstoßendes an wie –
«Mann, die Beerdigung war der reinste Horror», redeteder Junge weiter. «Sie war echt nett, die Kleine.» Er sah Finn an. «Na? Willst du?»
Finn sah zu, wie der Junge einen durchsichtigen Plastikbeutel mit Tabak aus der Tasche zog und sich eine Zigarette formte.
Aha, sie nannten also Tabak umgangssprachlich «Shit». Das hatte er nicht gewusst. Wie gut, dass er und Rouge das Passivrauchen so gewissenhaft geübt hatten. Er machte sich auf beißenden, stinkenden Rauch gefasst. Aber erstaunlicherweise roch Philipps dünne, krumme Zigarette gar nicht nach Tabak. Tatsächlich roch sie sogar recht gut, fast wie … die glimmenden
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