Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
veranlasst hat.
Ich spähe über ihre Schulter, da ich weiß, dass Mr. Muñoz hier irgendwo sein muss, denn ich habe seinen silbernen Prius in der Einfahrt gesehen. Erleichtert atme ich auf, als ich ihn aus dem Fernsehzimmer kommen sehe. Auf seiner Miene zeichnen sich zum Teil die gleichen Regungen ab wie bei ihr, allerdings ohne den Trotz und die schwere Besorgnis, was ich als gutes Zeichen auffasse.
»Ich würde es dir gern erklären.« Ich ringe um einen gelassenen, nicht provokanten Tonfall, denn ich kann nur dann zu ihr durchdringen, wenn ich die Gefühle raushalte. »Genau deshalb bin ich ja hier. Ich will dir alles erzählen, dir alles sagen. Aber es ist ziemlich kompliziert, also wäre es vielleicht besser, wenn ich reinkommen und mich setzen könnte, damit wir über alles reden können.«
Ihre Wangen laufen vor Empörung rot an. Sie kann meine Frechheit kaum fassen. Dass ich erwarte, eingelassen zu werden, wenn ich völlig unangemeldet nach monatelanger Funkstille einfach so vor der Tür stehe. Ich kann die Gedanken praktisch hören, die ihr durch den Kopf gehen, obwohl ich mir selbst versprochen habe, nicht zu lauschen. Allerdings muss ich gar nicht lauschen, wenn ich sehe, wie die ganze Energie um sie herum in Bewegung gerät und in einer stetig zunehmenden Wutwelle aufblitzt und Funken schlägt.
Trotzdem zieht sie die Tür weit auf, winkt mich hinein und folgt mir ins Fernsehzimmer, wo ich mich auf einen der weich gepolsterten Sessel setze und zusehe, wie sie und Mr. Muñoz auf der Couch direkt gegenüber Platz nehmen.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragt sie steif und springt
sofort wieder auf. Außer Stande, ihre nervöse Energie zu bezähmen, weiß sie nicht, wie sie mit meinem plötzlichen Auftauchen umgehen soll, und so schaltet sie schnurstracks auf Gastgeberin um, eine Rolle, die sie beherrscht.
»Wasser«, sage ich, und sofort zieht sie die Brauen zusammen, da sie mich kaum je etwas anderes hat trinken sehen als das Elixier und nicht weiß, dass ich meinen letzten Schluck vor ungefähr sechs Monaten genommen habe. »Wasser wäre super, danke.« Ich schlage die Beine übereinander, während sie in die Küche geht. Mr. Muñoz lehnt sich zurück und breitet die Arme weit über die Polster aus, in der behaglichen, entspannten Art eines Mannes, der hier absolut zuhause ist.
»Wir haben nicht mit dir gerechnet.« Seine Stimme klingt vorsichtig. Er weiß nicht, was er von meinem Auftauchen halten soll und fragt sich, was für Gründe mich hierhergeführt haben.
Ich sehe mich im Zimmer um und stelle erleichtert fest, dass es noch genauso aussieht wie früher, nachdem sich so viele andere Dinge verändert haben. Dann blicke ich auf meine schmutzigen Kleider herab und manifestiere mir schnell ein paar frische.
»Ever …« Mr. Muñoz spricht leise, damit Sabine nichts hört. »Ich glaube, das ist keine so gute Idee …«
Ich sehe auf mein neu manifestiertes blaues Kleid und die beigen Ledersandalen herab und zucke die Achseln. Nervös trommele ich mit den Fingern auf die gepolsterte Armlehne meines Sessels. »Hören Sie, ich brauche in dem Fall vielleicht Ihre Hilfe, also versuchen Sie bitte einfach, mir zu vertrauen. Ich bin nicht hier, um den Streit fortzuführen oder alles noch schlimmer zu machen. Ich will nur ein paar Dinge klären, ehe es zu spät ist und ich es nicht mehr kann.«
Er sieht mich erschrocken an und will gerade nach einer Erklärung fragen, als Sabine wieder hereinkommt, mir ein Glas Wasser reicht und sich neben ihn setzt.
Ich nehme die Beine auseinander und kreuze sie erneut, streiche mir mit den Händen über den Rock meines Kleids, bis der Saum bis fast an die Knie reicht. Eine Reihe von Gesten, die nicht gerade dezent sind, Gesten, von denen Notiz zu nehmen ich sie praktisch anflehe, damit sie mich fragt, wie ich es geschafft habe, mich so schnell umzuziehen – damit sie etwas sagt, irgendetwas, aber ein so hartnäckiges Verdrängen wie ihres ist schwer zu bekämpfen.
Schwer, aber nicht unmöglich.
Ich kann nicht glauben, dass es unmöglich ist. Sonst hätte mein Besuch hier gar keinen Sinn.
Da es das Beste ist, den Stier gleich bei den Hörnern zu packen, sehe ich sie an und sage: »Du hast mir gefehlt.«
Sie zuckt zusammen, nickt und lehnt sich enger an Mr. Muñoz, der ihr beruhigend die Schulter drückt. Doch sie bringt nicht mehr heraus als: »Also, willst du mir dann sagen, wo du warst?«
Ich presse die Lippen zusammen und bin über ihre Reaktion ein bisschen
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